Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes. Nichtberücksichtigung des Taggeldes der schweizerischen Invalidenversicherung. vergleichbare Leistung. Übergangsgeld. Nichtberücksichtigung von entgeltlicher Praktikumsbeschäftigung. fiktives Arbeitsentgelt. Qualifikationsgruppe. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei dem in der Schweiz gewährten, zur schweizerischen Arbeitslosenversicherung beitragspflichtigen IV-Taggeld handelt es sich nicht um Arbeitsentgelt iSd § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IV, da es nicht auf einer Beschäftigung beruht bzw im Zusammenhang mit einer Beschäftigung steht. Es entspricht dem Übergangsgeld nach deutschem Recht.
2. Das neben dem Bezug von IV-Taggeldern erzielte Einkommen aus einer während der Umschulung in der Schweiz ausgeübten entgeltlichen Praktikumsbeschäftigung ist bei der Bemessung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht nicht zu berücksichtigen.
3. Die grundsätzlich verfassungsgemäße fiktive Bemessung von Arbeitslosengeld zwingt auch bei Versicherten, die früher als Grenzgänger tätig waren, nicht, § 152 SGB III dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Fiktivbemessung anstelle nach Qualifikationsgruppen nach gegebenenfalls höheren Tariflöhnen in der betreffenden Branche im Ausland vorzunehmen ist. Eine gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßende, sachwidrig unterbliebene Differenzierung liegt darin nicht. Eine solche Auslegung ergibt sich auch nicht aus internationalem Vertragsrecht, dem Abkommen der Schweizer Eidgenossenschaft mit der EU über Freizügigkeit (juris: EGFreizügAbk CHE) bzw mit der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung (juris: ArblVAbk CHE).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 01.12.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtlich Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte für die Zeit vom 05.07.2014 bis 27.08.2014 ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) zusteht.
Der 1968 geborene, kinderlose Kläger war - bei in der Bundesrepublik Deutschland beibehaltenem Wohnsitz - in der Schweiz bis 30.04.2009 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wegen eines Unfalles am 07.09.2008 bezog er bis zum 13.06.2010 Krankentaggeld der gesetzlichen Unfallversicherung der Schweiz (Schweizer Unfallversicherungsanstalt - suva). Der Kläger wurde anschließend - unter Einschluss eines bezahlten Praktikums - in der Schweiz zum Bürokaufmann umgeschult vom 14.06.2012 bis 04.07.2014. Der Kläger erhielt Taggeld der Schweizer gesetzlichen Invalidenversicherung (IV; Blatt 14 der Beklagtenakte) wie folgt:
- 30.06.2012 bis 12.08.2012: 163,20 CHF/Tag (Blatt 19/20 der Beklagtenakte),
- 13.08.2012 bis 31.01.2013: 163,20 CHF/Tag (Blatt 21/22 der Beklagtenakte),
- 01.02.2013 bis 31.01.2014: 158,90 CHF/Tag (Blatt 23/24 der Beklagtenakte).
- 01.02.2014 bis 04.07.2014: 163,20 CHF/Tag (Blatt 25/26 der Beklagtenakte).
Am 15.04.2014 meldete sich der Kläger bei der Beklagten zum 05.07.2014 arbeitslos und beantragte Alg (Blatt 7/11 der Beklagtenakte; zum Vordruck PDU1 vgl. Blatt 13/16 der Beklagtenakte). Mit Bescheid vom 20.08.2014 (Blatt 29/32 der Beklagtenakte) bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg I ab dem 05.07.2014 i.H.e. kalendertäglichen Leistungsbetrags von 29,48 € (Bemessungsentgelt täglich: 73,73 €; Lohnsteuerklasse I; Lohnsteuertabelle 2014; Prozentsatz: 60; Leistungssatz täglich: 29,48 €; abzusetzender täglicher Anrechnungsbetrag: 0,00 €; Anspruchsdauer: 360 Tage). Mit Schreiben vom 21.08.2014 (Blatt 33/34 der Beklagtenakte) teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Das Alg werde fiktiv nach einer Tätigkeit eines kaufmännischen Mitarbeiters bemessen, das bei der Bemessung des Alg Entgelte aus ausländischer selbständiger Tätigkeit und aus sonstigen Einkünften (z.B. Krankengeld) außer Betracht blieben.
Mit Bescheid vom 25.08.2014 (Blatt 35/36 der Beklagtenakte) hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 28.08.2014 auf, da der Kläger eine Beschäftigung aufgenommen hatte.
Am 29.08.2014 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.08.2014 (Blatt 38/46 der Beklagtenakte). Das Taggeld der IV sei laut schweizerischem Recht als Einkommen zu bewerten und enthalte neben dem Abzug für die Quellensteuer auch den Abzug für die Arbeitslosenversicherung (6,25% AHV/IV ≪Alters- und Hinterlassenenversicherung/ Invalidenversicherung≫). Abgezogen würden 5,15% für AHV/IV/EO ≪EO = Erwerbsersatzordnung Schweiz≫), die restlichen 1,10% seien Abzüge für die Arbeitslosenversicherung (ALV). Die Taggelder müssten daher nicht nur für die Berechnung der Anspruchsdauer, sondern auch für die Höhe des Alg berücksichtigt werden, da ihm in dieser Zeit auch die Beiträge für die ALV abgezogen worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2014 (Blatt 47/51 der Beklagtenakte) wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 02.10.2014 h...