Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. GdS-Feststellung. sozialgerichtliches Verfahren. kein Feststellungsinteresse für bereits anerkannte Schädigungsfolgen. posttraumatische Belastungsstörung. Absenkung der GdS-Bewertung nach erfolgreicher Behandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn psychische Störungen bereits umfassend als Schädigungsfolge anerkannt sind, so besteht kein berechtigtes Interesse für die Feststellung einer Depression.
2. Auch eine schwere PTBS mit einem GdS von anfangs 50 ist regelmäßig einer erfolgreichen Behandlung zugänglich.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; BVG §§ 30, 31 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1; SGG § 77; VersMedV § 1 Anl. Teil B Nr. 3.7
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Schädigung (GdS) als Folge eines als Zeugin miterlebten Amoklaufs vom 19. September 2010 streitig.
Die 1966 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter zweier noch die Schule besuchender Kinder, die beide zu Hause leben. Ihr V. war im Juli 2010 aufgrund akuten Herzversagens per Notarzt in die Klinik gekommen, verstarb dann zeitgleich wie ihre beste Freundin, letztere durch einen Pferdeunfall. Die Klägerin war bis Ende 2015 als Sonderschullehrerin in Vollzeit berufstätig und wurde aufgrund von Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzt (Urkunde des Regierungspräsidiums Freiburg vom 17. Dezember 2015).
Am Abend des 19. September 2010 fand im St. E.-Krankenhaus in L. ein Amoklauf einer Rechtsanwältin statt, die einen Krankenpfleger tötete und auf die geschlossenen Türen diverser Krankenzimmer sowie auf die eintreffenden Polizisten schoss. Im darauffolgenden Schusswechsel wurde ein Beamter schwer verletzt und die Täterin durch einen Kopfschuss getötet. Die Klägerin war zu dieser Zeit Patientin nach Komplikationen aufgrund Gebärmutterentfernung. In ihrer noch am gleichen Tag erfolgten polizeilichen Vernehmung gab sie an, sie habe laute Geräusche wahrgenommen und diese als Schüsse eingeordnet, daraufhin sich ins Badezimmer begeben und die Türe verschlossen. Schließlich seien drei Polizisten in ihr Zimmer gekommen und hätten es durchsucht, insbesondere geprüft, ob sich im Zimmer noch eine weitere Person aufhalte. Sie habe dann im Gang vor ihrem Zimmer eine männliche Person leblos in ihrem Blut auf dem Boden liegen sehen.
Nach der Entlassung erlebte die Klägerin einen totalen Zusammenbruch, wurde dann zunächst ambulant von verschiedenen Therapeuten behandelt. Vom 15. April bis 27. August 2011 wurde sie stationär im S.-Zentrum, Fachkrankenhaus für Psychiatrie Bad S., behandelt, wo die Diagnosen “posttraumatische Belastungsstörung, mittelgradige depressive Episode„ gestellt wurden. Ihre Vulnerabilität sei durch den Unfalltod der Freundin, den Tod des V.s, die lebensgefährliche Komplikation ihrer Unterleibsoperation, aber auch die seit Jahren angespannte partnerschaftliche Situation mit ihrem Ehemann erhöht gewesen. Die Entlassung sei im affektiv gebesserten Zustand und in verbesserter Alltagsfähigkeit in die tagesklinische Weiterbehandlung erfolgt, die Prognose sei mittelfristig gut. Daran anschließend wurde die Klägerin bis 31. Januar 2012 in der Tagesklinik des S.-Zentrums weiter behandelt. Nach dem Abschlussbericht vom 9. Februar 2012 konnte sie in einem über die letzten drei Wochen der Behandlung recht stabilen Zustand mit deutlich verbesserter Alltagsfähigkeit und teilweise bestehender Arbeitsfähigkeit entlassen werden.
Am 24. Mai 2011 beantragte die Klägerin ausschließlich wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, ICD-10-F 43.1) die Gewährung von Beschädigtenversorgung.
Der Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft Freiburg bei, befragte die behandelnde Diplom-Psychologin Dr. R. (Behandlung seit Januar 2011, insgesamt vier Sitzungen) und ließ die Klägerin durch den Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. V. begutachten. Dieser kam in seinem Gutachten vom 31. Mai 2012 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin an einer gegenwärtig rückläufigen PTBS, einer initial mittelschweren depressiven Episode, aktuell leichtgradiger Ausprägung, sowie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung durch psychische Erkrankung und Dekonditionierung bzw. psychische Minderbelastbarkeit leide. Die depressive Störung habe sich infolge der PTBS entwickelt, hierdurch sei sie an der Teilhabe am sozialen Leben beeinträchtigt. Die Klägerin sei aktuell wieder berufstätig, kümmere sich um die beiden minderjährigen Kinder, das Haus (Wohnfläche 190 qm) und den Garten mit 800 qm, schwimme regelmäßig dreimal pro Woche, sie kaufe ein und bereite das Essen, habe sich einen jungen Hund angeschafft, den sie allein versorge. Der GdS sei direkt nach dem Amoklauf mit 50, seit Februar 2012 mit 30 zu bewerten. Nach Einholung einer versorgungsärztliche Stellungnahm...