Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer nach § 2 Abs 1 AsylbLG. Hemmung oder Unterbrechung der Wartezeit von 36 Monaten

 

Leitsatz (amtlich)

Die in § 2 Abs 1 AsylbLG vorausgesetzte Bezugsdauer von Leistungen nach den §§ 3ff AsylbLG (36 Monate; ab 28.8.2007 48 Monate) muss nicht ununterbrochen laufen. Sie beginnt jedoch neu zu laufen, wenn dieser Zeitraum nachhaltig und tiefgreifend unterbrochen wird. Dies ist auch bei kurzfristigen Auslandsaufenthalten dann anzunehmen, wenn im Drittstaat ein Asylantrag gestellt wird und sich aus dem Verhalten des Ausländers ergibt, dass er einen dauerhaften Aufenthalt nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland anstrebt.

 

Orientierungssatz

Die ab 28.8.2007 geltende Neufassung der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG idF vom 19.8.2007, welche einen Vorbezug von Leistungen über 48 Monate fordert, findet mangels Übergangsvorschrift erst Anwendung ab ihrem Inkrafttreten.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.03.2009; Aktenzeichen B 8 AY 10/07 R)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren höhere Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der 1976 geborene Kläger zu 1 und die 1984 geborene Klägerin zu 2 sind verheiratet und Eltern der 1999, 2000 und 2002 geborenen Kläger zu 3 bis 5 sowie zweier weiterer 2003 und 2006 geborener Kinder. Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige, stammen aus dem Kosovo und gehören zur Minderheitengruppe der Roma. Die Klägerin zu 2 reiste am 12. Dezember 1999 mit dem Kläger zu 3 ohne Ausweispapiere und Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein, der Kläger zu 1 folgte am 14. Januar 2000, ebenfalls ohne Ausweispapiere oder Visum. Die Kläger zu 1 und 2 gaben im Dezember 2000 eidesstattliche Versicherungen über ihre Personalien ab. Die Asylanträge der Kläger sind unanfechtbar abgelehnt, die Kläger sind vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Sie sind im Besitz von Duldungen der Ausländerbehörde und beziehen seit Dezember 1999 (Kläger zu 2 und 3), Januar 2000 (Kläger zu 1) bzw. seit Geburt (Kläger zu 4 und 5) Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG.

Nachdem der Kläger zu 1 am 2. Februar 2002 eine Arbeit aufgenommen hatte, wurde die Leistungsbewilligung teilweise aufgehoben und Leistungen für März und April 2002 zurückgefordert; zum 1. Mai 2002 wurden die Leistungen zum Lebensunterhalt und für die Unterkunft eingestellt. Der Kläger zu 1 kündigte das Beschäftigungsverhältnis zum 26. Juli 2002. Am 7. Mai 2002 hielt er sich vorübergehend außerhalb des zugewiesenen Aufenthaltsbereiches auf. Mit Bescheid vom 11. Juli 2002 wurden die Kläger von der Ausländerbehörde der Stadt Esslingen zur Ausreise bis zum 30. August 2000 aufgefordert und die Abschiebung in den Kosovo angedroht. Ab Anfang August 2002 hielten sich die Kläger mehrere Tage in Frankreich auf, wo sie am 7. August 2002 einen Asylantrag stellten. Der Sozialdienst der Stadt Esslingen teilte am 8. August 2002 dem Beklagten telefonisch mit, die Familie der Kläger sei wohl untergetaucht. Am 13. August 2002 sprach der Kläger zu 1 persönlich bei der Leistungsstelle vor und beantragte Leistungen nach dem AsylbLG. Mit Bescheid vom 26. August 2002 wurden den Klägern Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG ab 14. August 2002 bewilligt. Unter dem 5. September 2002 verlängerte die Ausländerbehörde die Ausreisefrist für die Kläger bis zum 30. Oktober 2002. In der Folgezeit erhielten die Kläger ununterbrochen Grundleistungen nach dem AsylbLG, ihnen wurden durchgehend Duldungen erteilt.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2004 lehnte der Beklagte einen Antrag der Kläger auf Leistungen in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 18. Mai 2005 beantragten die Kläger die Gewährung von Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG. Sie verwiesen darauf, dass eine Rückkehr in den Kosovo für sie als Angehörige der Volksgruppe der Roma lebensgefährlich sei und verwiesen u.a. auf eine Pressemitteilung des UNHCR vom 9. April 2004 und ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg vom 17. November 2004 (7 S 1128/02). Auf Anfrage des Beklagten teilte die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 9. Juni 2005 mit, die Kläger hätten sich in der Zeit vom 19. Juli bis 7. August 2002 nicht in Esslingen aufgehalten; der genaue Aufenthaltsort sei unbekannt. Laut Mitteilung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. September 2002 habe die Familie damals einen Asylantrag in Frankreich gestellt.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2005 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Kläger hätten die Aufenthaltsdauer rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst, da sie trotz der bestehenden Möglichkeit nicht freiwillig in den Kosovo ausgereis...

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