Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Vergütungsanspruch für allogene Stammzelltransplantation bei chronischer lymphatischer Leukämie im Jahr 2004. Abmilderung des Qualitätsgebots. grundrechtsorientierte Leistungsauslegung. wirksame Einwilligung des Patienten als Vergütungsvoraussetzung

 

Orientierungssatz

1. Zum Anspruch auf Vergütung einer allogenen Stammzelltransplantation bei chronischer lymphatischer Leukämie im Jahr 2004.

2. Das Qualitätsgebot gilt grundsätzlich auch für die mit Fallpauschalen nach § 17b KHG vergüteten Krankenhausleistungen. Eine Abmilderung des Qualitätsgebots kann sich insbesondere daraus ergeben, dass auch bei der Beurteilung der Behandlungsmethoden im Krankenhaus in einschlägigen Fällen eine grundrechtsorientierte Auslegung der Grenzmaßstäbe nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfG 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 48ff stattzufinden hat (vgl BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R = BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 15 mwN; seit 1.1.2012 in § 2 Abs 1a S 1 SGB 5 normiert).

3. Versicherte müssen der konkreten Heilbehandlung nach hinreichender, gebotener Aufklärung entsprechend den allgemeinen Grundsätzen zugestimmt haben. Erforderlich ist eine so umfassende Information über Eigenart, Nutzen und Risiken der geplanten Behandlung, dass sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten im vollen Umfang Rechnung trägt (zur Einwilligung als Vergütungsvoraussetzung vgl BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R aaO, RdNr 25).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.10.2019; Aktenzeichen B 1 KR 4/19 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 113.300,29 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.

Der 1944 geborene und im Juli 2004 verstorbene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte K.-D. K. (im Folgenden: Versicherter) war an chronischer lymphatischer Leukämie ((CLL); Erstdiagnose Juni 1996) erkrankt. Im April 2001 wurde das Fortschreiten der Erkrankung festgestellt. Es folgten sechs Zyklen Chemotherapie mit Fludarabin im Rahmen der CLL-4-Studie der Deutschen CLL-Studiengruppe. Es kam zu einer partiellen Remission der Erkrankung. Im Januar 2002 erfolgte eine erneute Progression der Krankheit. Bis März 2002 wurden daraufhin drei Zyklen Chemotherapie mit Fludarabin/Cyclophosphamid durchgeführt. Von Juni bis September 2003 folgten drei weitere Zyklen einer COP-Chemotherapie. Klinisch zeigte sich im Anschluss eine komplette Remission. Anfang 2004 zeigten die Untersuchungen des Versicherten eine erneute erhebliche Tumorlast. Vom 7. Februar bis 15. März 2004 befand sich der Versicherte in stationärer Behandlung im Krankenhaus des Klägers, einem nach Landesrecht anerkannten Hochschulklinikum in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Nach dosis-reduzierter Konditionierung (Cyclophosphamid 40 mg/kg) mit einer Ganzkörperbestrahlung in einer Dosis von 2 Gy (kombiniert mit Fludarabin und ATG) erfolgte am 17. Februar 2004 eine fremd-allogene Stammzelltransplantation (SZT) mit 6,9 x 106 CD34+-Zellen (Entlassungsbericht des Prof. Dr. K. und Dr. F., Medizinische Klinik, vom 15. März 2004). Der Versicherte wurde dabei nicht im Rahmen einer Studie behandelt. Die Behandlung erfolgte entsprechend eines zeitgleich in dem Hochschulklinikum durchgeführten Studienprotokolls. Am 13. April 2004 wurde der Versicherte erneut stationär im Hochschulklinikum aufgenommen. Dort verstarb er am 25. Juli 2004 an den Folgen einer Transplantat-gegen-Empfänger-Erkrankung (Graft-versus-Host-Disease, (GVHD)) Grad IV (von maximal IV).

Mit Rechnung vom 14. Mai 2004 machte der Kläger für die vollstationäre Behandlung des Versicherten vom 17. Februar bis 15. März 2004 unter Ansatz der Fallpauschale (DRG = Diagnosis Related Group) A04A (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, HLA-verschieden) insgesamt € 113.300,29 geltend (einschließlich des Qualitätssicherungszuschlags nach § 17b Abs. 1 Satz 5 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und DRG-Systemzuschlag, abzüglich geleisteter Zuzahlungen in Höhe von € 80,00). Die Beklagte beglich zunächst den Rechnungsbetrag.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Dr. E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg am 27. August 2004 ein sozialmedizinisches Gutachten. Danach sei die allogene Fremdspendertransplantation bei der CLL als experimentell einzustufen. Unter bestimmten Voraussetzungen entspreche die Behandlung der CLL mit allogener SZT mit einem HLA-identischen Geschwisterspender dem wissenschaftlich gesicherten Standard, nicht aber die Behandlung mit Fremdspenderzellen. Die fremd-allogene Blutstammzell-Transplantation könne an Hochschulkliniken im Rahmen von klinischen Prüfprotokollen durchgeführt werden.

Am 17. Februar...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge