Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungsverfahren. Gegenstand des Verfahrens. Einbeziehung von Ausführungsbescheiden. Vorliegen eines neuen Verwaltungsakts iS des § 96 SGG. Dispositionsbefugnis der Parteien hinsichtlich Verfahrensgegenstand. Beschränkung der Klage auf Anfechtung des Ausgangsverwaltungsakts

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 96 SGG findet gem § 153 Abs 1 SGG im Berufungsverfahren Anwendung, egal von welchem der Beteiligten Berufung eingelegt worden ist.

2. Ein sog Ausführungsbescheid in Umsetzung eines Urteils des SG im Sinne einer vorläufigen Regelung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens durch eine rechtskräftige Entscheidung enthält keine verbindliche Regelung im Sinne des § 31 SGB X und wird nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Etwas Anderes gilt dann, wenn das Urteil des SG zu unbestimmt ist und der Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt bedarf (zB zur Leistungsdauer, Leistungshöhe) bzw die Behörde eine über den Urteilstenor hinausgehende Entscheidung trifft. Ein solcher Bescheid beinhaltet keinen Ausführungsbescheid, sondern einen neuen Verwaltungsakt im Sinne des § 96 SGG.

3. Eine kraft Gesetzes (§§ 153 Abs 1, 96 SGG) eingetretene Klageänderung hindert die Beteiligten nicht, über den Verfahrensgegenstand im Rahmen ihrer allgemeinen Dispositionsbefugnis (§ 123 SGG) zu verfügen und die Klage auf die Anfechtung des Ausgangsverwaltungsaktes zu beschränken.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Februar 2019 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 2018 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16. November 2018, diese in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. November 2018 sowie gegen den Änderungsbescheid vom 24. November 2018 abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Oktober 2018 bis zum 30. Juni 2019 streitig.

Die 1961 geborene Klägerin steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnt eine Zwei-Raum-Wohnung (57 m²) in der B. Straße in F., für die sie eine Miete in Höhe von 554,37 € (Grundmiete 394,37 € + Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung 160,00 €) und ab 1. November 2018 591,90 € (Grundmiete 410,90 € + Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung 181,00 €) zu entrichten hatte.

Die Klägerin bezieht seit August 1997 eine Erwerbsunfähigkeitsrente mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag in der hier streitigen Zeit von 661,00 €, ab Mai 2019 689,94 €. Weiterhin flossen der Klägerin in der hier streitigen Zeit aus einer Erwerbstätigkeit folgende Arbeitseinkünfte zu:

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Oktober 2018

362,44 € brutto, 249,39 € netto,

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November 2018

733,72 € brutto, 504,38 € netto,

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Dezember 2018

415,48 € brutto, 257,92 € netto,

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Januar 2019

1.184,56 € brutto, 703,71 € netto,

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Mai 2019

330,84 € brutto, 227,31 € netto,

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Juni 2019

863,86 € brutto, 592,81 € netto.

Nach ihren Angaben wohnt sie seit Sommer 2016 zusammen mit I. T., geboren 1993, Staatsangehöriger der Republik Mali, der über eine Duldung (Aussetzung der Abschiebung) nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit einer Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis W. verfügte und deshalb keine Sozialleistungen erhielt. Am 16. August 2018 heirateten die Klägerin und I. T.. Die Ausländerbehörde der Stadt F. erteilte dem Ehemann der Klägerin am 26. März 2019 die Zustimmung zu seinem Umverteilungsantrag in die Stadt F.. Die Stadt F. bewilligte dem Ehemann der Klägerin durch Bescheid vom 1. Juli 2019 für die Zeit vom 5. April 2019 bis zum 30. April 2019 Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von 587,56 € und ab 1. Mai 2019 bis auf Weiteres in Höhe von monatlich 677,95 €. Dabei berücksichtigte die Stadt F. den Regelsatz in Höhe von 382,00 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 292,95 €.

Am 17. Mai 2018 stellte die Klägerin einen Fortzahlungsantrag und gab wahrheitswidrig an, weiterhin alleinstehend zu sein. Durch Bescheid vom 11. Juni 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 372,98 €. Er berücksichtigte dabei den Regelbedarf für Alleinstehende in Höhe von monatlich 416,00 €, einen Mehrbedarf für Ernährung in Höhe von 41,60 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 537,61 € und setzte davon ein um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 € bereinigtes Renteneinkommen in Höhe von 622,23 € ab.

Anlässlich einer Mitwirkungsaufforderung hinsichtlich der Erzielung von Nebeneinkommen in dem am 30. Juni 2018 abgelaufenen Bewilligungsabschnitt teilte die Klägerin mit Schreiben vom 1. Juli 2018 mit, dass sie seit knapp zwei Jahren einen Flüchtling ...

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