nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld. Antrag. Aufenthaltserlaubnis. Aufenthaltsberechtigung. Aufenthaltsgestattung. Diskriminierungsverbot. Türkei. Wohnsitz

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein in Deutschland lebender türkischer Staatsangehöriger kann – unabhängig von seinem aufenthaltsrechtlichen Status – Erziehungsgeld unter den gleichen Voraussetzungen beanspruchen wie ein deutscher Staatsangehöriger.

 

Normenkette

BErzGG § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1a S. 1, § 4 Abs. 2 S. 2; SGB I § 30; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 3; Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Entscheidung vom 22.10.1998; Aktenzeichen S 17 EG 2599/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Oktober 1998 sowie der Bescheid vom 7. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1998 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Erziehungsgeld für die Zeit vom 17. September 1996 bis zum 27. April 1997 zu leisten.Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg) nach dem Bundeser-ziehungsgeldgesetz (BErzGG).

Die am 10.11.1967 geborene Klägerin besitzt ebenso wie ihr Ehemann die türkische Staatsangehörigkeit. Sie ist die Mutter der am 28.04.1996 geborenen D. S. S. Ihr Ehemann war ihren Angaben zu Folge seit März 1991 - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Mit Bescheid vom 15.03.1995 stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, dass für den Ehemann die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) hinsichtlich der Türkei vorliegen. Die Klägerin selbst war ab Asylantragstellung am 17.08.1992 im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und erhielt ab 04.12.1997 eine Aufenthaltsbefugnis. Ihr Asylverfahren ist ohne Anerkennung abgeschlossen worden.

Den Antrag der Klägerin vom 17.03.1997, ihr Erzg für das erste Lebensjahr der Tochter D. S. zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, Voraussetzung für den Erziehungsgeldanspruch eines Ausländers sei u.a., dass er im Besitz einer Aufenthalts-berechtigung oder Aufenthaltserlaubnis sei. Der Besitz einer Aufenthaltsgestattung begründe keinen Anspruch auf Erzg (Bescheid vom 07.05.1997).

Dagegen erhob die Klägerin unter Hinweis auf die EG-Verordnung 1408/71 Widerspruch und machte geltend, ihr stehe eine Aufenthaltsgenehmigung aufgrund der Flüchtlingsanerkennung des Ehemannes zu. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Den erziehungsgeldgewährenden Leistungsträgern stehe nicht das Recht zu, selbst über die materielle Berechtigung des Ausländers zum Aufenthalt zu befinden. Vielmehr seien diese an die Entscheidung der Ausländerbehörden gebunden, die insoweit Tatbestandswirkung entfalte. Die Klägerin sei im streitigen Bezugszeitraum (28.04.1996 bis 27.04.1997) lediglich im Besitz einer Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens gewesen. Aus den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ließen sich keine Ansprüche herleiten. Danach sei der aufnehmende Staat nur zur Gewährung des Lebensnotwendigen an Flüchtlinge verpflichtet. Hierzu zählten zwar Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), nicht jedoch das Erzg. Auch verpflichte die GFK die Vertragsstaaten nicht zur Gleichstellung von Flüchtlingen mit Deutschen, soweit es - wie beim Erzg - um die Gewährung von allein aus Steuermitteln finanzierten Sozialleistungen gehe. Ansprüche ergäben sich auch nicht aus der Europäischen Sozialcharta oder aus dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei i.V.m. dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 3/80 (Hinweis auf BVerwG Az. 7 C 12/92). Ansprüche aus der EG-Verordnung 1408/71 bestünden ebenfalls nicht, weil diese Verordnung keine Anwendung auf rein innerstaatliche Fälle ohne EG-Auslandsbezug finde. Eine Wanderarbeitnehmereigenschaft sei weder bei der Klägerin noch deren Ehemann gegeben.

Die deswegen zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 22.10.1998, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 05.11.1998 zugestellt).

Hiergegen hat die Klägerin am 10.11.1998 Berufung eingelegt mit der Begründung, die vom SG in Bezug genommene Rechtsprechung des EuGH beziehe sich ausschließlich auf EG-Staater. Die Sonderproblematik für Flüchtlinge und Staatenlose werde vom SG nicht wirklich erörtert. Die Einfügung eines "grenzüberschreitenden" Elements im Bereich der Sozialleistungen mache nur deshalb Sinn, weil EG-Staater sonst ggf. doppelt Sozialleistungen beziehen könnten. Bei Flüchtlingen liege eine derartige Gefahr nicht vor, jedenfalls soweit es um den erstmaligen Bezug von Sozialleistungen in dem Land gehe, in dem sie erstmals innerhalb der Gemeinschaft Aufnahme gefunden hätten.

Mit Beschluss vom 29.12.1998 ist...

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