Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Geschäftsführer einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. Geltung der Maßstäbe, die auch für GmbH-Geschäftsführer anzuwenden sind
Leitsatz (amtlich)
Für Geschäftsführer einer haftungsbeschränkten Unternehmergesellschaft (UG) gelten die Maßstäbe für die Statusbeurteilung, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Geschäftsführer einer GmbH anzuwenden sind.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.09.2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 16 % der Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Im Übrigen trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 50.646,08 € festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) bei der Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum 30.04.2016.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine mit notariell beurkundetem Gesellschaftsvertrag vom 04.12.2008 gegründete haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft (UG), die am 08.01.2009 in das Handelsregister beim Amtsgericht Mannheim eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens ist der Vertrieb von Fliesen, deren Verlegung, Restaurierung und Veredelung, sowie der An- und Verkauf von Immobilien. An ihr sind als Gesellschafter die Beigeladene zu 2) in Höhe von 49,8 v.H. (Einlage von 249 €) und ihr Ehemann F in Höhe von 50,2 v.H. (Einlage von 251 €) beteiligt. Zur Geschäftsführerin wurde die Beigeladene zu 2) bestellt. Sie war von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit. Sie erhielt während des streitgegenständlichen Zeitraums gleichbleibende monatliche Bezüge in Höhe von 2.743,54 € (brutto); von dieser Vergütung entrichtete die Klägerin Lohnsteuer. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte nicht.
Für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis zum 31.12.2012 führte die Beklagte im Jahr 2013 eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) bei der Klägerin durch. Mit Schreiben an die Klägerin vom 17.09.2013 stellte die Beklagte fest, dass "die von uns in Stichproben durchgeführte Prüfung ... im gesamten Prüfzeitraum zu keinen Feststellungen hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrages (führte)".
Vom 24.07.2017 bis zum 07.03.2018 führte die Beklagte eine weitere Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV durch und leitete ein Statusfeststellungsverfahren zur Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) bei der Klägerin als Geschäftsführerin ein. Im Feststellungsbogen gab die Beigeladene zu 2) u.a. an, sie könne ihre Arbeitszeit frei wählen und unterliege keinen Weisungen hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Tätigkeit. Sie müsse ihren Urlaub nicht genehmigen lassen und erhalte keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bei Beschlüssen sei eine qualifizierte Mehrheit von 75 % vereinbart. Mit Schreiben vom 22.01.2018 hörte die Beklagte die Klägerin zur Festsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen an. Die Klägerin gab daraufhin mit Schreiben vom 26.02.2018, vertreten durch die Beigeladene zu 2), an, es sei ursprünglich beabsichtigt gewesen eine GmbH zu gründen. Zu diesem Zweck sei unter Mitwirkung der Beigeladenen zu 3), einer Steuerberatungsgesellschaft, ein Gesellschaftsvertrag erarbeitet worden. In diesem habe man zugunsten der Beigeladenen zu 2), die weisungsfrei als Geschäftsführerin tätig sein sollte, eine Sperrminorität vereinbart, weil nach diesem Gesellschaftsvertrag 75 % der abgegebenen Stimmen erforderlich gewesen seien, um Gesellschafterbeschlüsse zu verabschieden. Aufgrund von Liquiditätsverknappungen habe man aber anstelle der GmbH eine UG gegründet. Mündlich sei daraufhin zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) vereinbart worden, dass der für die Gründung einer GmbH gestaltete Gesellschaftsvertrag auch für die Errichtung der UG Anwendung finden solle. Daher sei bei der notariellen Beurkundung der Errichtung der UG am 04.12.2008 lediglich die knappe Mustersatzung gewählt worden. Das Geschäftsführergehalt habe je nach Ertragslage ausgezahlt werden sollen. Ab dem 01.05.2016 habe die Beigeladene zu 2) aufgrund der Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter sowie einer eigenen Erkrankung ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin nicht mehr im selben Ausmaß und in derselben Verantwortung wie zuvor wahrnehmen können. Daher sei ab dem 01.05.2016 von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.
Mit Bescheid vom 16.03.2018 forderte die Beklagte die Klägerin zur Zahlung in Höhe von 50.646,08 € auf. Dieser Betrag setzte sich aus Sozialversicherungsbeiträgen und Insolvenzgeldumlage für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum 30.04.2016 in Höhe von 42.206,08 € und Säumniszuschlägen für den Zeitraum 01.05.2016 bis 31.12.2017 i...