Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs. Abfindung. tarifvertraglicher Ausschluß der ordentlichen Kündigung. Sozialplanabfindung. ordentliche Kündigungsfrist. fingierte einjährige Kündigungsfrist. teleologische Reduktion
Orientierungssatz
1. Haben die Tarifvertragsparteien die tarifliche Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers durch Zusatztarifvertrag (Firmentarifvertrag) insofern wirksam befristet beseitigt, als dem Arbeitnehmer nach Sozialplan eine Abfindung zu zahlen ist, so greift nach § 117 Abs 2 S 4 AFG eine einjährige Kündigungsfrist ein, wenn dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung gekündigt werden kann. Die nur abstrakte Möglichkeit zur Kündigung ohne Abfindung, von der im konkreten Fall kein Gebrauch hätte gemacht werden können, kann die Anwendung der Vorschrift nicht ausschließen.
2. Die einjährige Kündigungsfrist des § 117 Abs 2 S 4 AFG ist jedoch teleologisch auf die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers zu reduzieren, wenn ohne die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung wegen des Sozialplans zugleich die Voraussetzungen für eine fristgebundene Kündigung aus wichtigem Grund vorgelegen hätten (§ 117 Abs 2 S 3 Nr 2 Alt 2 AFG) (vgl BSG vom 29.1.2001 - B 7 AL 62/99 R = BSGE 87, 250 = SozR 3-4100 § 117 Nr 22).
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen einer Abfindung geruht hat.
Der ....1939 geborene Kläger war vom 25.10.1976 bis 30.9.1998 als Schweißer bei der August S GmbH & Co in D beschäftigt. Er war Mitglied der IG Metall, seine frühere Arbeitgeberin Mitglied des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg. Auf das Arbeitsverhältnis fand zunächst der Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 18.12.1996 Anwendung, wonach u.a. Beschäftigte nach Vollendung des 53. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von mindestens drei Jahren nur noch aus wichtigem Grund kündbar waren (§ 4.4 MTV). Das Arbeitsverhältnis endete durch die Kündigung der Arbeitgeberin vom 4.2.1998 zum 30.9.1998. Der Kläger erhielt eine Abfindung in Höhe von DM 26.365,--.
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte aus Anlass von Strukturanpassungsmaßnahmen bei der Arbeitgeberin (Schließung der Betriebsstätte R Straße) und dem damit verbundenen Abbau des Personalstandes von 168 auf ca 110 Mitarbeiter in dieser Firma (Interessenausgleich vom 26.1.1998). Zwischen der Fa S und dem Betriebsrat wurde der Sozialplan vom gleichen Tag geschlossen. Dieser sah Abfindungen für im Wege betriebsbedingter Kündigung ausscheidende Arbeitnehmer vor. Ebenfalls am 26.1.1998 schlossen die Tarifparteien den Zusatztarifvertrag zum MTV für alle Mitarbeiter, so weit sie Mitglied der IG Metall waren. Nach § 2 des Zusatztarifvertrages fand § 4.4 MTV keine Anwendung, für die Beschäftigten galten die ordentlichen Kündigungsfristen gemäß § 4.5 MTV. Der Zusatztarifvertrag trat mit Unterzeichnung in Kraft; Voraussetzung war das Wirksamwerden von Interessenausgleich und Sozialplan vom 26.1.1998 (§ 5).
Zum 01.10.1998 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (AA) G arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Er sowie seine frühere Arbeitgeberin gaben eine Stellungnahme zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Die Anhörung des Betriebsrats durch die Geschäftsleitung vom 21.8.1998, in der diese die Gründe der Sozialauswahl darlegte, wurde vorgelegt.
Mit Bescheid vom 9.11.1998 lehnte das AA den Antrag für die Zeit bis 18.11.1998 ab, weil bis zu diesem Zeitpunkt der Anspruch auf Alg wegen der gezahlten Abfindung ruhe. Mit weiterem Bescheid vom 11.11.1998 bewilligte es Alg ab 19.11.1998 in Höhe von DM 502,46 wöchentlich für eine Anspruchsdauer von 971 Tagen.
Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er die Zahlung von Alg bereits ab 01.10.1998 begehrte. Die Alterssicherung sei aufgehoben gewesen, so dass er ordentlich kündbar gewesen sei und die vom AA angenommene Kündigungsfrist von 12 Monaten nicht eingreife.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.2.1999 wies das AA den Widerspruch zurück: Wegen der gezahlten Abfindung ruhe der Anspruch auf Alg. Der Kläger habe nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung gekündigt werden können, so dass trotz des abgeschlossenen Zusatztarifvertrages eine Kündigungsfrist von einem Jahre gelte.
Am 07.03.1999 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Ulm erhoben zu deren Begründung er auf den Vortrag im Widerspruchsverfahren Bezug genommen hat. Das SG hat den Interessenausgleich und den Sozialplan beigezogen.
Mit Urteil vom 26.1.2001 hat das SG die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Alg bereits ab 01.04.1999, weil dieser wegen der gezahlten Abfindung geruht habe. Der Kläger sei nicht ordentlich kündbar gewesen. Der Zusatztarifvertrag entfalte keine Wirkung, weil dieser in bereits entstandene Rechte eingegriffen habe. Damit gelte eine Kündigungsfrist von 18 Monaten, die ni...