Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Todes. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaft. lebensbedrohliche Erkrankung. Motiv einer Heirat "aus tiefer Liebe"
Leitsatz (amtlich)
Nach langjähriger nichtehelicher Lebensgemeinschaft, während der keine konkreten Schritte bezüglich der Hochzeitsplanung eingeleitet worden sind, tritt bei Bestehen einer offenkundig lebensbedrohlichen Erkrankung eines der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung das angegebene Motiv einer Heirat "aus tiefer Liebe" nicht als zumindest gleichwertiges Motiv neben das Versorgungsmotiv.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Oktober 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres am 11. Mai 2015 verstorbenen Ehemannes A. G..
Der im März 1930 geborene A. G. bezog seit 1. April 1990 Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Nachdem seine frühere Ehefrau verstorben war, bezog er außerdem eine große Witwerrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Die Klägerin bezog seit dem Tod ihres ersten Ehemannes ebenfalls eine Witwenrente.
Nach Angaben der im September 1931 geborenen Klägerin lebte sie seit dem Jahr 2006 mit Herrn G. in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen, wobei dieser seine seit langem bewohnte Wohnung in der W-Straße xx in xyxyx M. beibehalten, sich aber meist in der Wohnung der Klägerin in der A.-Straße xx in xyxyx M. aufgehalten habe. Im Januar 2011 wurde bei Herrn G. erstmals die Diagnose eines myeolodysplastischen Syndroms (MDS, Erkrankung des Knochenmarks mit Störung des Blutbildungsprozesses) gestellt.
Anlässlich einer Vorstellungen zur Verlaufskontrolle bei seinem behandelnden Arzt Prof. Dr. H. in der M. Onkologiepraxis gab Herr G. am 1. Dezember 2014 an, sich in den letzten Wochen wesentlich schlapper und müder gefühlt zu haben. Er habe eine schlechtere Leistungsfähigkeit und ein thorakales Engegefühl. Wegen Verschlechterung der Blutwerte hielt Prof. Dr. H. eine Transfusion mit Erythrozytenkonzentrat (nach zehn Monaten Pause) für erforderlich und eine Knochenmarkspunktion für notwendig. Er veranlasste eine Überweisung des Herrn G. in die Klinik für Hämatologie und internistische Onkologie der Universitätsmedizin M. (UMM). Dort stellte Herr G. sich am 4. Dezember 2014 vor. Laut Befundbericht des Prof. Dr. H. ergab sich nach Diagnostik kein Anhalt für einen Progress des MDS. Vermutet wurde eine Hyperplasie im Sinne einer Knochenmarktoxizität im Rahmen der seit Dezember 2013 laufenden medikamentösen Therapie mit 5-Azacytidin (Chemotherapie). Prof. Dr. H. empfahl einen Therapieversuch mit einem anderen Medikament, einem TPO-Agonisten, für den vorab jedoch ein Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse gestellt werden müsse, da die diesbezügliche Studie bereits geschlossen sei. Den Antrag auf Kostenübernahme stellte Prof. Dr. H. am 19. Februar 2015 bei der S. Betriebskrankenkasse.
Am 26. März 2015 meldeten die Klägerin und Herr G. beim Standesamt M. ihre für den 17. April 2015 vorgesehene Eheschließung an.
Am 10. April 2015 wurde Herr G. erneut stationär im UMM aufgenommen, wo er sich mit Dispnoe, Schwindel und thorakalen Schmerzen vorgestellt hatte. Durch Magenspiegelung wurden gastrointestinale Blutungen festgestellt und Herr G. erhielt mehrere Bluttransfusionen. Wegen schlechter Blutwerte bestand aus Sicht der Ärzte ein Verdacht auf eine sekundäre akute myeolische Leukämie (AML) als Folge des bestehenden MDS. Die ärztlicherseits deswegen empfohlene Knochenmarkspunktion lehnte Herr G. ab und “entließ sich gegen ärztlichen Rat nach ausführlicher Aufklärung über sämtliche Risiken und Konsequenzen.„ (S.2 Bericht UMM vom 13. April 2015).
Am 17. April 2015 heirateten die Klägerin und Herr G..
Am 8. Mai 2015 wurde Herr G. in schlechtem Allgemeinzustand und mit Fieber bis 38,5 °C, tachykardem Vorhofflimmern sowie Hypertonie in die Klinik für Innere Medizin I des Diakonissen Krankenhauses M. aufgenommen. Die Ärzte diagnostizierten eine Lungenentzündung im Unterlappen links und leiteten eine antibiotische Therapie ein, die erfolglos blieb. Am 11. Mai 2015 verstarb Herr G..
Am 2. Juni 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente.
Mit Bescheid vom 18. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwenrente ab. Laut den vorliegenden ärztlichen Unterlagen sei die Lebenserwartung des Herrn G. zum Zeitpunkt der Eheschließung sehr gering gewesen. Somit habe der Nachweis nicht erbracht werden können, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gewesen sei.
Zur Begründung des hiergegen am 26. August 2015 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, trotz der Krankheit sei ein baldiges Ableben ihres Ehemannes nicht voraussehbar g...