Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. ambulante Strahlentherapie. Notwendigkeit einer Begleitung aufgrund einer nicht behandelten Grunderkrankung. keine Übernahme der Personalkosten für die Begleitung eines Betreuers des Versicherten durch Krankenkasse. Stellvertreterleistung. Genehmigungsfiktion. Fahrkosten. häusliche Krankenpflege
Leitsatz (amtlich)
1. Die Krankenkasse ist regelmäßig nicht verpflichtet, die Personalkosten für die Begleitung eines Betreuers des Versicherten bei dessen ambulanter Strahlentherapie zu übernehmen, wenn die Begleitung allein aufgrund der (hier nicht behandelten) Grunderkrankung (Persönlichkeitsstörung mit Aggressivität) notwendig ist.
2. Die Erstattung von Personalkosten kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog "Stellvertreterleistung" in Betracht.
3. Voraussetzung der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs 3a SGB V ist, dass der Versicherte zumindest subjektiv von der Erforderlichkeit der Leistung ausgehen und auf das Ergehen einer Genehmigung vertrauen durfte.
Orientierungssatz
1. Die in einer Verordnung zur Krankenbeförderung angegebene Notwendigkeit medizinisch-fachlicher Betreuung durch einen Betreuer stellt keine Verordnung über häusliche Krankenpflege iSd § 73 Abs 2 S 1 Nr 8 SGB 5 dar.
2. Auch der Anwendungsbereich der Regelungen über die häusliche Krankenpflege gemäß § 37 SGB 5 ist hier nicht betroffen. Es liegt kein Fall des § 37 Abs 1 SGB 5 vor, weil die Begleitung und Betreuung zur Strahlentherapie nicht der Vermeidung ansonsten erforderlicher Krankenhausbehandlung dient, und auch kein Fall des § 37 Abs 2 SGB 5, weil dort nur die häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung geregelt ist.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 7. September 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme der Kosten für die notwendige Begleitung des Klägers zur Strahlentherapie im Zeitraum vom 3. Dezember 2013 bis 17. Januar 2014 streitig.
Der 1969 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger steht unter gesetzlicher Betreuung und leidet an einer geistigen Behinderung mit schwerer komplexer Verhaltensstörung mit Auto- und Fremdaggressivität bei Intelligenzminderung und intrazerebralen Tumor sowie einer hochgradigen Visusminderung und Okulomotoriusparese links. Es ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 (Merkzeichen „G“ und „H“) festgestellt; von der Pflegeversicherung ist außerdem eine Zuordnung zur Pflegestufe III erfolgt. Des Weiteren bezieht der Kläger Leistungen nach dem Blindenhilfegesetz. Er lebt seit Juli 2009 in einer von der Beigeladenen zu 2 betriebenen vollstationären Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung (B.) und erhält dort eine „rund um die Uhr“-Versorgung. Die Kosten hierfür trägt der Sozialhilfeträger, der Beigeladene zu 1 im Rahmen der Eingliederungshilfe (Bewilligungsbescheid vom 11. August 2011 für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2015: Vergütungen für die vollstationären Hilfen mit tagesstrukturierendem Angebot [Förder- und Betreuungsleistungen] nach dem Leistungstyp des längerfristig intensiv betreuten Wohnangebotes ≪LibW≫ und Bekleidungspauschale).
Zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 2 besteht ein Wohn- und Betreuungsvertrag, welcher zum 1. Dezember 2013 erneuert wurde (Bl. 181 bis 200 der SG-Akte). Nach § 5 Abs. 5 Nr. 1 (Betreuungsleistungen, Mitwirkung des Bewohners) des Vertrags bezieht sich die Eingliederungshilfe, die von der Einrichtung angeboten werde, unter anderem auch auf die Begleitung und Beratung in persönlichen Angelegenheiten. In § 6 (Unterstützung bei und Vermittlung von ärztlichen Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB V≫) wurde auszugsweise folgende Klausel vereinbart:
„Ärztliche, psychologische und sonstige therapeutische Behandlungen gehören grundsätzlich nicht zu den vertraglichen Leistungen der Einrichtung nach diesem Vertrag. Unter Wahrung der freien Arztwahl des Bewohners im Übrigen bietet die Einrichtung jedoch die gesundheitliche Versorgung und Krankenbehandlung nach Maßgabe der Vorschriften des SGB V durch den ärztlichen Dienst des St. J. Hauses an. (...) In jedem Fall ist die Einrichtung bei der Vermittlung von ärztlichen und bei Bedarf auch von erforderlicher therapeutischer Hilfe behilflich. Die von der Einrichtung selbst als vertragliche Nebenleistung herkömmlich zu erbringenden Leistungen der medizinischen Behandlungspflege beschränken sich auf die Vorgaben des Rahmenvertrags zur Eingliederungshilfe nach § 79 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Ihre Erbringung erfordert die Kooperation zwischen den behandelnden Ärzten, den betreuenden Kräften der Einrichtung und dem Bewohner. (...)
Die Einrichtung bietet weiter die Beförderung und Begleitung des Bewohners zum Krankenhaus oder Arzt bzw. zu anderen therapeutischen Stellen und Personen an. Soweit die Kosten hierfür weder von der Krankenkasse noch vom Sozi...