Entscheidungsstichwort (Thema)
unterbliebene Anhörung. Heilung im Widerspruchsverfahren. Nichtmitteilung versorgungsärztlicher Stellungnahmen. Nichtmitteilung einer im Widerspruchsverfahren eingeholten fachärztlichen Äußerung. isolierte Entscheidung über Widerspruchsbescheid
Leitsatz (amtlich)
1. Eine unterbliebene Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB 10 im Verfahren bis zum Erlaß des Neufeststellungsbescheides wird durch Bekanntgabe des Erlasses mit Wirkung für das Widerspruchsverfahren dann geheilt, wenn im Neufeststellungsbescheid zumindest ausgeführt wird, daß im Verfahren weitere medizinisch relevante Tatsachen erhoben wurden.
2. Eine Anhörungspflicht nach § 24 Abs 1 SGB 10 bezüglich sogenannter versorgungsärztlicher Stellungnahmen besteht, jedenfalls dann nicht, wenn diese sich darin erschöpfen, medizinische Fremdbefunde zu bewerten.
3. Die Anhörungspflicht nach § 24 Abs 1 SGB 10 besteht auch für im Verwaltungsverfahren erhobene Befunde, die mit der Behinderung, wegen der der GdB herabgesetzt werden soll, nicht im Zusammenhang stehen jedenfalls dann, wenn in einem einheitlichen Verfahren entschieden wird.
4. Das 6. VwGO Änderungsgesetz vom 1.11.1996 (BGBl I 1996, 1626) verändert nicht die bisher nach allgemeiner Meinung mögliche isolierte Entscheidung über einen Widerspruchsbescheid, soweit dieser gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche, selbständige Beschwer enthält.
Orientierungssatz
Wird im Widerspruchsverfahren eine fachärztliche Äußerung eingeholt und dies dem Kläger vor Erlaß des Widerspruchsbescheides nicht mitgeteilt, ist die Anhörungspflicht verletzt, auch wenn die Äußerung keine weitere Behinderung beinhaltet.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, welcher Grad der Behinderung (GdB) nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (SchwbG) beim Kläger festzustellen ist, ob dieser in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist (Merkzeichen "G"), vorab ob und ggf. mit welchen Folgen der Beklagte im Verwaltungsverfahren gegen die Anhörungspflicht des § 24 Sozialgesetzbuch (SGB) X verstoßen hat.
Bei dem 1934 geborenen Kläger stellte das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) zuletzt mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.10.1992 als Behinderungen mit einem GdB von 50 ab 23.01.1992 fest:
"Chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Bandscheibenoperation und Operation, Osteoporose, Gonarthrose". Gleichzeitig wurde das Merkzeichen "G" für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen festgestellt.
Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens von Amts wegen zog das VA einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. B bei, wozu eine versorgungsärztliche Stellungnahme dahingehend erfolgte, daß sich die Lähmung des rechten Beines fast vollständig zurückgebildet habe und die Voraussetzungen für die bisherige GdB-Einschätzung und die Feststellung des Merkzeichens "G" nicht mehr gegeben seien. Der GdB betrage jetzt lediglich noch 40.
Mit Anhörungsschreiben nach § 24 Abs. 1 SGB X vom 20.05.1994 wies das VA auf diese Veränderungen hin und teilte mit, daß es beabsichtige, die Behinderungen neu festzustellen, den GdB mit 40 zu bewerten, ohne Feststellung des Merkzeichens "G".
Dazu äußerte sich der Kläger dahingehend, daß er mit der beabsichtigten Neufeststellung nicht einverstanden sei und demnächst bei Dr. B weitere Untersuchungen geplant seien.
Auf Anforderung des VA übersandte Dr. B im November 1994 einen weiteren Befundschein, wonach die bereits mitgeteilten Erkrankungen weiterhin unverändert bestünden und zusätzlich ein HWS-Syndrom mit Schwindel und dringendem Verdacht auf Tinnitus, cervikale Blockierungen bei HWS-Bandscheibendegeneration C6/7 und Einengung der Foramina intervertebralia, rezidivierende multiple Gelenkbeschwerden bei Hyperurikämie, eine alkoholtoxische und lösungsmitteltoxische Hepatopathie zu diagnostizieren seien.
Dazu nahm Dr. C versorgungsärztlich dahingehend Stellung, eine Änderung sei nicht eingetreten, da ein maßgeblicher GdB für das HWS-Syndrom, den Verdacht auf Tinnitus und die Hepatopathie nicht festzustellen sei.
Ohne den Kläger erneut anzuhören, stellte das VA mit Neufeststellungsbescheid vom 20.01.1995 eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen gegenüber dem Bescheid vom 22.10.1992 und nunmehr als Behinderungen fest:
"Chronisch-rezidivierendes Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Bandscheibenoperation, Osteoporose, Gonarthrose rechts, Meniskusteilverlust".
Der GdB wurde ab 23.01.1995 mit 40 festgestellt. Ab diesem Zeitpunkt seien die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht mehr erfüllt.
Zur Begründung führte das VA aus, die Prüfung der Schwerbehindertenangelegenheit unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme, bei der Facharztbefunde berücksichtigt worden seien, habe eine wesentliche Änderung im Gesundheitszustand ergeben. Die vom Kläger vorgebrachten Einwendungen s...