Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme der Arbeitslosengeldbewilligung. Leistungsgruppenzuordnung. Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten. Verfassungsmäßigkeit. Verletzung der Mitteilungspflicht. Unkenntnis der Rechtswidrigkeit. grobe Fahrlässigkeit
Orientierungssatz
1. Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 137 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB 3.
2. Für die Auslegung des Begriffs der groben Fahrlässigkeit kann die Funktion des Steuerklassenwechsels im Steuerrecht nicht unberücksichtigt bleiben (vgl BSG vom 29.8.2002 - B 11 AL 87/01 R = SozR 3-4300 § 137 Nr 3). Da das Steuerrecht davon ausgeht, dass dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden muss, muss ein Ehegatte, der vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ein erheblich höheres Arbeitsentgelt als seine Ehefrau erzielt hat, nicht damit rechnen, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben würde.
3. Der Hinweis im Merkblatt für Arbeitslose, der diesen lediglich verpflichtet einen bereits vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsel zu melden, und der allgemeine Hinweis, der Arbeitslose solle sich beraten lassen, genügen nicht dafür, den Schluss auf eine grobfahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht oder eine grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung zuzulassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 16.134,91 DM aufheben durfte und der Kläger diesen Betrag zu erstatten hat.
Der ... 43 geborene, verheiratete, kinderlose Kläger war 1957 bis 31.12.98 als Techniker bei der Firma J D in M beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 416.809,-- DM. In den beim Ausscheiden abgerechneten Monaten Januar 1998 bis Dezember 1998 erzielte er Arbeitsentgelt in Höhe von 98.118,00 DM. Am 11.11.1998 meldete er sich beim Arbeitsamt (AA) Mannheim arbeitslos und beantragte Alg. Er legte die Lohnsteuerkarte 1999 mit dem Eintrag der Steuerklasse III vor. Er bestätigte, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben. Das AA bewilligte nach Ablauf einer Sperrzeit und eines Ruhenszeitraums ab 08.01.2000 Alg nach Leistungsgruppe C in Höhe von zunächst wöchentlich 702,31 DM (wöchentliches Bemessungsentgelt 1910,00 DM; allgemeiner Leistungssatz, Leistungstabelle 2000). In der Folgezeit zahlte das AA Alg wie folgt, wobei es die genannten Bemessungsfaktoren zugrunde legte:
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Bescheid vom |
Zahlbetrag |
Änderung |
Änderungsgrund |
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wöchentlich |
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26.7 2000 |
732,27 DM |
Bemessungsentgelt |
Berücksichtigung |
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2010,00 DM |
von |
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Einmalzahlungen |
Ohne Datum |
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Aufhebung der |
Kuraufenthalt |
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Bewilligung ab |
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10.10.2000 |
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15.12.2000 |
732,27 DM |
Wiederbewilligung |
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26.1.2001 |
760,27 DM |
Bemessungsentgelt |
Dynamisierung, |
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2030,00 DM |
Leistungsverordnung |
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2001 |
Der Leistungsanspruch auf Alg war ab 07.05.2001 erschöpft.
Im Anschluss beantragte der Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi). Im April 2001 teilte er dem AA mit, dass er zum 01.06.1999 seine Lohnsteuerkarte von Lohnsteuerklasse III in V habe ändern lassen. Diese Änderung sei auf den Rat seines Steuerberaters erfolgt, da seine Frau seit Mitte 1999 eine Tätigkeit auf 630,-- DM-Basis ausgeübt und er im Jahr 1999 keinerlei Einkünfte gehabt habe. Diese Tätigkeit seiner Ehefrau sei im April 2000 dauerhaft aus krankheitsbedingten Gründen beendet worden. In Unkenntnis der Auswirkungen der Steuerklasse auf die Leistungen der Arbeitsverwaltung habe er die erneute Änderung der Steuerklasse unterlassen und erstmals seit Februar 2001 vornehmen lassen. Bei Kenntnis der rechtlichen Situation, die ihm jetzt erstmals dargestellt worden sei, hätte er aus leicht nachvollziehbaren Gründen die Änderungen der Steuerklassen niemals durchführen lassen. Ab 1.2.2001 war auf seiner Steuerkarte 2001 wieder die Steuerklasse III eingetragen.
Mit Bescheid vom 07.08.2001 hob das AA die Bewilligung von Alg vom 08.01.2000 teilweise in Höhe des Differenzbetrags zwischen Leistungsgruppe C und D auf und forderte das zu Unrecht erhaltene Alg in Höhe von 16.659,91 DM zurück. Der Kläger habe die Änderung nicht rechtzeitig mitgeteilt.
Der Kläger erhob Widerspruch: Es sei richtig, dass er die Änderung ab Beginn des Bezugs von Alg im Januar 2000 nicht angezeigt habe. Die Voraussetzungen der Steuerklasse IV seien jedoch nur bis Ende April 2000 gegeben gewesen. Seit dieser Zeit sei seine Ehefrau aufgrund einer schweren Erkrankung dauerhaft nicht mehr arbeitsfähig, sodass seit diesem Zeitpunkt für ihn allein die Steuerklasse III maßgeblich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2001 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als es die Rückforderung auf 16.134,91 DM reduzierte; im Übrigen wies es den Widerspruch zurück. Der Kläger habe dem AA den Steuerklassenwechsel erst am 03.04.2001 mitgeteilt, sodass ab Beginn der Bewilligung Leistungen nach Leistungsgruppe C gezahlt worden seien, obwohl die Leistu...