Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. anderweitige Sozialleistung. Anhörungspflicht. Amtsermittlungspflicht. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Eine Anhörung ist nicht deshalb fehlerhaft, weil sie erst 18 Monate nach Ende des Leistungsbezuges des Arbeitnehmers erfolgt ist. Für die Durchführung notwendiger Anhörungen gibt es keine Fristen.
2. § 128 AFG ist verfassungsgemäß (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl ua vom 17.12.1997 - 11 RAr 61/97 = BSGE 81, 259 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5). § 128 AFG idF vom 18.12.1992 enthält eine differenzierte Regelung, wann eine Erstattungspflicht des früheren Arbeitgebers entfällt. Damit wird dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, erfordert die amtliche Sachaufklärungspflicht nicht, nach Tatsachen zu forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalles keine Anhaltspunkte bieten (BSG aaO).
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Pflicht zur Erstattung des ihrem früheren Arbeitnehmer H E (E.) von der Beklagten gezahlten Arbeitslosengeldes sowie der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.
Der ... 1938 geborene E. war vom 01.10.1952 bis 31.12.1994 (zuletzt) als technischer Angestellter bei den Firmen M AG bzw. D AG, den Rechtsvorgängerinnen der Klägerin, beschäftigt. Nach Angaben der D AG in der von ihr vorgelegten Arbeitsbescheinigung wurde das Arbeitsverhältnis am 24.05.1994 zum 31.12.1994 durch einen Auflösungsvertrag beendet. E. erhielt aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von DM 97112.--.
E. meldete sich am 30.11.1994 beim Arbeitsamt Nürnberg (AA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Er hielt seine Vermittlungsfähigkeit für uneingeschränkt. Die letzte Tätigkeit könne er weiter ausüben. Zum Grund des Ausscheidens gab E. am 20.12.1994 an, es handele sich um einen Auflösungsvertrag im Rahmen der Vorruhestandsregelung, worauf er mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand eingegangen sei.
Mit Bescheid vom 03.02.1995 stellte das AA den Eintritt einer Sperrzeit vom 01.01.1995 bis 25.03.1995 mit einer Minderung der Anspruchsdauer um 72 Tage fest. Mit Bescheid vom gleichen Tag stellte das AA das Ruhen des Anspruchs auf Alg nach § 117 Abs. 2 und 3 AFG für die Zeit bis zum 05.05.1995 fest. Ebenfalls mit Bescheid vom 03.02.1995 bewilligte das AA Alg ab 06.05.1995 mit einer Anspruchsdauer von 832 Tagen in Höhe von DM 99,40 täglich (Leistungsgruppe C/0; Leistungstabelle 1995). Der tägliche Leistungssatz betrug ab 01.01.1996 DM 101,90 und ab 01.01.1997 DM 100.--. Der Anspruch auf Alg lief wegen Erschöpfung des Anspruchs mit dem 08.10.1997 aus. Ab 01.08.1998 bezog E. Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Arbeitslosenhilfe war nicht beantragt worden.
Am 24.08.1995 wies das AA die Fa. M AG. auf die voraussichtlich eintretende Erstattungspflicht hin, worauf diese am 22.09.1995 darauf hinwies, dass bei E. in der letzten Zeit im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Arbeit erhebliche Leistungseinschränkungen deutlich geworden seien, was für eine alternative Sozialleistung Bedeutung haben könne. E. sei Kundendienstberater für PKW gewesen und habe Kunden beraten und betreuen, Fahrzeugdiagnosen erstellen, den Umfang von Kundendienst- und Reparaturarbeiten festlegen, Reparaturaufträge erstellen, fertiggestellte Fahrzeuge kontrollieren und dem Kunden übergeben müssen. Es habe sich um schwere Arbeiten in Früh- und Spätschicht gehandelt. Für ältere Mitarbeiter sei es schwierig, sich den immer wechselnden technischen Kenntnisstand anzueignen. E. habe vom 26.07. -- 01.08. und vom 14.09. -- 17.10.1993 sowie vom 19.01. -- 25.02.1994 krankheitsbedingte Fehlzeiten gehabt.
Mit Bescheid vom 19.10.1995 entschied das AA, die im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Umstände rechtfertigten nicht den Nichteintritt der Erstattungspflicht. Ein arbeitsamtsärztliches Gutachten habe ergeben, dass die vertraglich übernommene Arbeit weiterhin hätte ausgeübt werden können und die Voraussetzungen für eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Monaten oder für eine andere Sozialleistung nicht vorgelegen hätten. Das anschließende Widerspruchsverfahren ließen die Beteiligten zunächst ruhen. Am 23.07.1996 brachte die Firma M wieder vor, E. sei nicht mehr in der Lage gewesen, den Arbeitsplatz voll auszufüllen. Mit Bescheid vom 22.10.1996 entschied darauf das AA, die Firma habe das E. gezahlte Arbeitslosengeld samt der gesetzlichen Beiträge ab 08.07.1996 für längstens 624 Tage zu erstatten.
Mit Bescheid vom 10.02.1997 nahm das AA Bezug auf die vorangegangene Entscheidung und forderte die Erstattung des an E. gezahlten Alg sowie der hierauf entfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 08.07.1996 bis 15.10.1996. Den Erstattungsbetrag errechnete es wie folgt:
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Alg (86 Leistungstage) |
DM 8.763,40 |
Beiträge zur Krankenversicherung |
DM 2.070,84 |
Beiträge zur Rente... |