Entscheidungsstichwort (Thema)
Übernahme der Kosten von Krankenfahrten auf die gesetzliche Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn eine Genehmigung für Krankenfahrten nach § 60 Abs. 2 Satz 4 SGB V als erteilt gilt, müssen nach dem Rechtsgedanken des § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Fahrten im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sein, um einen Anspruch auf Übernahme der Kosten zu begründen. Daran fehlt es in der Regel, wenn ein Psychiater in Anspruch genommen wird, der seine Leistungen mehrere Hundert Kilometer entfernt vom Wohnort des Versicherten anbietet, so dass Fahrkosten in Höhe von 2.000 € pro Behandlung entstehen.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 4, § 60 Abs. 1 Sätze 1, 3-4, Abs. 2 S. 1 Nr. 4, § 61 S. 1, § 76 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 91 Abs. 1 S. 1 Nr. 12; SGB X §§ 45, 48; SGG § 54 Abs. 1, 4, § 56
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20.04.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Fahrkosten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Höhe von 7.514,40 €.
Der 1966 geborene, seit mindestens 8 Jahren in B1 lebende und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte schwerbehinderte Kläger, der u.a. über die Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und H (hilflos) verfügt und der u.a. an einer bipolaren affektiven Psychose leidet, beantragte bei der Beklagten die Erstattung von Fahrkosten von seinem Wohnort in B1 zu vier ambulanten psychiatrischen Behandlungen am 20.05.2021, 07.06.2021, 10.06.2021 und 16.06.2021 bei S1, in B2, bei dem der Kläger bereits seit etwa 20 Jahren in Behandlung ist. Für die Fahrten nahm der Kläger die Dienste des Taxiunternehmens G1 in D1 in Anspruch, für die Kosten in Höhe von jeweils 2.000,- € anfielen, insgesamt 8.000 € (Quittungen vgl. Bl. 38, 37, 28, 20). In den Akten befindet sich eine Stellungnahme des S2 vom 20.05.2021 (Bl. 30 Verwaltungsakte), wonach der Kläger unter einer schwergradig ausgeprägten psychischen Erkrankung leide und sich aktuell auch noch der somatische Zustand verschlechtere, was wiederum zu einer deutlichen Dekompensation des psychischen Befindens führe. Ein Behandlungsabbruch führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer fatalen Verschlechterung der psychischen Befindlichkeit, insbesondere vor dem Hintergrund der latenten Suizidalität. Weiterhin bestätigte der behandelnde L1 im Schreiben vom 20.05.2021, der Kläger sei durch Fachärzte zu behandeln, denen er absolut vertraue (Bl. 26 und Bl. 29 Verwaltungsakte).
Nachdem die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Angelegenheit befasst hatte (Gutachten vom 22.04.2021 und 16.06.2021, hier auch unter Einbeziehung der ärztlichen Stellungnahmen des S2 bzw. des L1 vom 20.05.2021), teilte sie dem Kläger mit Bescheid vom 22.06.2021 mit, dass die Fahrkosten teilweise in Höhe von 485,60 € (121,40 € pro Hin- und Rückfahrt auf Basis einer Einsatzpauschale von 3,20 € pro Einzelfahrt [x 2 bei Hin- und Rückfahrt] zzgl. 1,15 € pro gefahrenem Kilometer x 100 km) anerkannt würden. Hinsichtlich des Differenzbetrages lehnte sie den Antrag mit der Begründung ab, im Umkreis des Wohnortes des Klägers stünden Fachärzte für die psychiatrische Behandlung zur Verfügung. Bei der Berechnung der Fahrkosten werde eine Entfernung von 50 Kilometern vom Wohnort zu einer der nächstgelegenen Behandlungsstätten im Großraum F1 akzeptiert.
Hiergegen legte der - anwaltlich vertretene - Kläger mit Schreiben vom 02.07.2021 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2021 (Eingang beim Klägerbevollmächtigten am 23.08.2021) als unbegründet zurückwies.
Mit Schriftsatz vom 17.09.2021, eingegangen beim Gericht am 23.09.2021, hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und vorgetragen, sein Gesundheitszustand sei desolat. Es liege Multimorbidität vor. Zur Erhaltung des status quo sei er auf die Behandlung durch seine langjährigen Ärzte angewiesen. Er gerate in psychische Grenzsituationen und erleide Angstzustände, wenn neue Situationen und für ihn nicht bekannte Umstände aufträten. Sollte er nicht mehr in der Lage sein, seine Vertrauensärzte aufsuchen zu können, drohe ein Suizid, der von ihm vernunfts- und willensgeleitet nicht beeinflusst werden könne. Er vertraue auch nur dem Fahrer des Taxiunternehmens aus D1, den er seit ca. 2015/2016 kenne. Die Beklagte habe die Kosten des Taxiunternehmens bis ca. 2021 bezahlt, so dass er sich auf den Vertrauensgrundsatz berufe. Die Kosten habe er durch Darlehen seiner Angehörigen beglichen.
Das SG hat den Kläger um Vorlage der ärztlichen Schweigepflichtsentbindungserklärung gebeten und, als der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.04.2023 abgewiesen unter Verweis auf den Grundsatz der objektiven Beweislast und die fehlende Möglichkeit zur Ermittlung des medizinischen Sachve...