Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Prostatakrebsbehandlung mit Protonenbestrahlung. keine vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iSd § 135 SGB 5. fehlende positive Empfehlung des G-BA zum Behandlungszeitpunkt 2016. Nichtvorliegen einer lebensbedrohlichen oder hiermit vergleichbaren Erkrankung gem § 2 Abs 1a SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Eine in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführte Protonentherapie, bei der die Patienten erst unmittelbar vor den Bestrahlungsterminen in das Krankenhaus kommen und nach kurzer Bestrahlungszeit die Behandlung für den betreffenden Tag beendet ist, so dass die Patienten den Rest des Tages frei gestalten können, ist weder eine vollstationäre noch eine teilstationäre Krankenhausbehandlung.
2. Bei der Protonen-Behandlung des Prostatakarzinoms handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V, die in der (ambulanten) vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden darf, wenn der G-BA eine positive Empfehlung nach Maßgabe des § 135 Abs 1 S 1 SGB V abgegeben hat. Eine solche Empfehlung des G-BA lag zum Zeitpunkt der Behandlung (2016) nicht vor.
Orientierungssatz
Mangels Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder hiermit vergleichbaren Erkrankung scheidet auch ein Anspruch nach § 2 Abs 1a SGB 5 aus.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24.11.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung für eine Prostatakrebsbehandlung mit Protonenbestrahlung im C1 M1 (R1).
Der 1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei bestehender chronisch lymphatischer Leukämie (ED 11/2011) wurde am 28.04.2015 bei einer Kernspintomographie der Verdacht eines Prostatakarzinoms geäußert. Der histologische Nachweis des - lokal begrenzten - Prostatakarzinoms erfolgte am 23.06.2015 (cT2b, cM0, GLEASON-Score 7a (3+4), PSA-Wert 9,65 ng/ml).
Nach telefonischer Kontaktaufnahme am 15.02.2016 beantragte der Kläger am 02.03.2016 schriftlich die Genehmigung zur Durchführung einer Prostatakarzinombehandlung mit Protonenbestrahlung im R1 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags vom 10.02.2016 über 22.300,00 €.
Die Beklagte beauftragte sodann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung. B1 führte in seinem Gutachten vom 11.03.2016 aus, die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien nicht erfüllt. Die Bewertung der Protonentherapie bei Prostatakarzinom sei vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bis 2018 ausgesetzt worden. Daher handele es sich bei der Protonentherapie um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege derzeit noch nicht vor. Vertragsärztliche Alternativen zur lokalen Therapie des Prostatakarzinoms seien bei kurativem Behandlungsansatz die Prostataektomie, die konventionelle perkutane Strahlentherapie am Linearbeschleuniger sowie die Brachytherapie. Zwar lägen bisher keine Langzeitstudien vor, jedoch sei nach bisheriger Datenlage davon auszugehen, dass eine adäquate medizinische Behandlung durch die Protonentherapie in der Behandlung des Prostatakarzinoms vorliege, der Benefit gegenüber der genannten Radiatio jedoch nicht belegt sei. Mit Bescheid vom 17.03.2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, verwies diesen jedoch bzgl. seines Anliegens an das Universitätsklinikum H1.
Hiergegen legte der Kläger am 14.04.2016 Widerspruch bei der Beklagten ein und trug zur Begründung vor, er habe sich wegen der möglichen Neben- und Auswirkungen auf seine Lebensqualität gegen die alternativen Behandlungen entschieden. Zudem legte er ein Schreiben des B2 vom 13.09.2016 vor.
Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere Begutachtung durch den MDK. Im Gutachten vom 04.10.2016 führte B3 aus, die Voraussetzungen einer Kostenerstattung unter Beachtung der Sozialrechtsrechtsprechung und verfassungsgerichtlicher Vorgaben seien nicht erfüllt. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation liege nicht vor. Zudem stünden anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungen zur Verfügung. Auch liege bisher weder ein Wirksamkeitsnachweis noch eine Übersicht zum Nebenwirkungsspektrum anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken für die beantragte Methode vor. Überlegenheit, medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit gegenüber dem beschriebenen Standard seien bisher nicht belegt. Es handele sich um eine experimentelle Therapie. Es sei nicht bekannt, ob und welche Nebenwirkungen durch Protonenbestrahlung eintreten könnten und ob die Teilchenbestrahlung einen Zusatznutzen gegenüber konventioneller Bestrahlung mit Elektronen/Photonen aufw...