Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 2 S 1 SGB 7. arbeitnehmerähnliche Tätigkeit. Wie-Beschäftigung. Probearbeit. wirtschaftlicher Wert. "Schnuppern" als Helferin in einem Reitverein. Arbeitsunfall. haftungsbegründende Kausalität. Konkurrenzursache. anlagebedingte Risikofaktoren. Kniescheibenluxation bei Dehnübung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Patellaluxation am rechten Knie wird bei Vorliegen deutlicher anlagebedingter luxationsbegünstigender Faktoren nicht rechtlich wesentlich durch eine planmäßig und willentlich ausgeführte Dehnübung im Ausfallschritt mit Streckstellung des rechten Beines verursacht.
2. Eine "Wie-Beschäftigung" liegt bei Probearbeiten vor, wenn eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit von - wenn auch geringem - wirtschaftlichen Wert erbracht wird. Ein "Reinschnuppern" eines Interessierten im Vorfeld, um sich einen Eindruck zu verschaffen, ob die Tätigkeit überhaupt in Betracht kommt, reicht hierfür nicht aus.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 01.10.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung des Ereignisses vom 15.03.2019 als Arbeitsunfall im Streit.
Die Tochter der 1992 geborenen Klägerin war - jedenfalls schon mehrere Monate vor dem angeschuldigten Ereignis vom 15.03.2019 (Angabe Klägerin S. 61 Senatsakte) - Mitglied einer Voltigiergruppe beim Reiterverein F1, S1-str., in F1. Die Voltigierstunden wurden in der Regel von drei vereinsinternen Übungsleiterinnen/Übungsleitern begleitet - am 15.03.2019 waren dies A1, ihre Tochter A2 sowie S2 - und umfassten u.a. zunächst das gemeinsame Putzen und Richten des Voltigierpferdes, das Warmmachen der Kinder durch Spiele und Dehnübungen, das Einüben der jeweiligen Voltigierübungen am Turnpferd und sodann das Üben auf dem Voltigierpferd (hierzu sowie zum Folgenden s. Auskunft der A1 vom 27.07.2023, S. 40 ff. Senatsakte). Wenn nicht ausreichend vereinsinterne Helfer bei den Voltigierstunden verfügbar waren, wurden auch Eltern als Helfer eingesetzt, die kurzfristig - ggf. jede Woche neu - mittels Anfrage an den Helfer-Pool der Eltern rekurriert wurden. Vorkenntnisse für diese Helfertätigkeit waren grundsätzlich nicht erforderlich. Abhängig von etwaigen Vorkenntnissen, Eignung und Pferdeerfahrung der Eltern wurden diese beim Warmmachen, Kinderbeaufsichtigen, Kinderhochwerfen am (Turn-)Pferd, Führen des Pferdes und Sichern der Kinder am (Turn-)Pferd eingesetzt. Für die helfenden Eltern war die Teilnahme des Kindes an der Voltigierstunde kostenfrei.
Für den 15.03.2019 erklärte sich die Klägerin, die bislang noch nicht als Eltern-Helferin eingesetzt worden war und im Übrigen - ihrem eigenen Bekunden nach (S. 61 Senatsakte) - Angst vor Pferden hat(te), bereit, die Übungsleiterin S2 im Rahmen der Voltigierstunde ihrer Tochter zu begleiten, um sich ein Bild von den Aufwärmübungen und den Übungen am Turnpferd zu machen, um einschätzen zu können, ob sie es sich zutraue, bei zukünftigen Ausfällen von Helfern ggf. auszuhelfen. Es war der Klägerin freigestellt, bei den durchgeführten Aufwärmübungen mitzumachen oder lediglich zuzusehen. Die Klägerin entschied sich zur Teilnahme und spielte zunächst - ihren eigenen Angaben nach in die Gruppe der Kinder integriert (S. 61 Senatsakte) - bei dem Aufwärmspiel „Faules-Ei“ mit und führte sodann auch die von A2 angeleiteten Dehnübungen aus. Im Rahmen dieser Dehnübungen - namentlich nach Ausfallschritt und Dehnung des rechten Beines in Streckstellung (s. Angaben der Klägerin gegenüber dem behandelnden B1, S. 70 Senatsakte) - verspürte sie - ihren eigenen Angaben nach - „einen Knacks im Knie“ und ließ sich auf eine Matte fallen (S. 60 f. und 70 Senatsakte; s. aber auch Unfallanzeige S. 1 VA: „Beim Aufwärmen der Voltigiergruppe eingeknickt und Knie verdreht“). Anschließend wurde sie am selben Tag in der V1 Klinik in R1 ambulant behandelt und es wurde die Diagnose einer Patellaluxation (Kniescheibenluxation bzw. -verrenkung, s. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, 2024, S. 616) rechts gestellt (S. 65 Senatsakte). Am 22.03.2019 wurde eine MRT des rechten Knies durchgeführt (Radiologiebericht S. 68 f. Senatsakte), die ein diffuses Ödem - vereinbar mit einem Bone Bruise, so der Radiologe - am medialen Rand der Patella und lateralen Rand des lateralen Femurkondylus, ein teilweise rupturiertes mediales Retinakulum, einen fokal umschriebenen Knorpeldefekt retropatellar, einen ausgeprägten Gelenkerguss und mutmaßlich einen kleinen knöchernen Ausriss mit etwas disloziertem Fragment an der medialen Patella zeigte (s. auch MRT-Beurteilung S. 70 Senatsakte). Im Rahmen einer am 03.04.2019 stattgehabten erneuten Vorstellung in der V1 Klinik R1 wurden Röntgenaufnahmen des rechten Knies gefertigt, die eine deutlich lateralisierte Patella bei dysplastischer Patella und ei...