Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch. Asylbewerber. gewöhnlicher Aufenthalt
Orientierungssatz
Asylbewerber haben während der Dauer des Asylverfahrens sowie nach negativem Abschluß des Asylverfahrens im Regelfall keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, es sei denn, daß nach dem Ausländerrecht und der Handhabung der einschlägigen Ermessensvorschriften durch die Ausländerbehörden die Prognose zu treffen ist, daß der Ausländer (während des Asylverfahrens: auch bei endgültiger Ablehnung seines Asylantrags) voraussichtlich nicht abgeschoben wird (vgl BSG vom 22.03.1995 - 10 RKg 10/89 = SozR 3-1300 § 45 Nr 24).
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Kindergeld an den Kläger zu Recht ab Januar 1987 aufgehoben hat.
Der am 17.10.1948 geborene Kläger ist Palästinenser jordanischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im November 1977 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag blieb erfolglos (zuletzt Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10.03.1986, der rechtskräftig geworden ist). Während der Dauer des Asylverfahrens war der Aufenthalt des Klägers geduldet bzw. gestattet. In der Folgezeit wurde die Abschiebung weiterhin halbjährlich ausgesetzt, bis 27.06.1990 war er im Besitz einer Duldung. Im Anschluß daran wurde dem Kläger am 31.01.1990 bis 18.03.1993 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, am 09.02.1993 erhielt er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und am 27.08.1996 eine Aufenthaltsberechtigung.
Aus der am 31.07.1980 geschlossenen Ehe des Klägers stammen die Kinder L. (geboren am 05.12.1981), S. (geboren am 30.03.1983), T. (geboren am 27.12.1984) und S. (geboren am 04.03.1987). Dem Kläger wurde zunächst Kindergeld bewilligt, dann ab Juni 1985 entzogen und ab Februar 1990 wieder bewilligt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 22.05.1985 (Widerspruchsbescheid vom 27.01.1986) mit, ab April 1985 könne ihm kein Kindergeld mehr gewährt werden, weil er keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe. Seiner deswegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe durch Urteil vom 12.06.1986 stattgegeben. Während des anschließenden Berufungsverfahrens hat die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 11.12.1986 erteilt. Unter gleichzeitiger Rücknahme der ursprünglich angefochtenen Bescheide hat sie die Bewilligung des Kindergeldes ab Juni 1985 gemäß § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückgenommen. Die Kindergeldbewilligung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Kläger durchgehend keinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt habe und habe. Seit der Erteilung des Bescheids vom 22.05.1985 habe der Kläger keinen Vertrauensschutz mehr. Bei der nunmehr getroffenen Entscheidung habe sie auch ihr Ermessen ausgeübt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 24.01.1989 den Bescheid vom 11.12.1986 hinsichtlich der Rücknahme der Kindergeldbewilligung aufgehoben. Die Aufhebung sei rechtswidrig, weil die Beklagte das gebotene Ermessen vor Klageerhebung nicht ausgeübt habe. Dieser Mangel könne während des gerichtlichen Verfahrens auch nicht durch Erteilung eines neuen Bescheids geheilt werden.
Auf die Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) durch Urteil vom 22.03.1995 (SozR 3-1300 § 45 Nr. 24) diese Entscheidung des LSG abgeändert und die Sache hinsichtlich der Rücknahme der Kindergeldbewilligung ab Juni 1985 (Bescheid vom 11.12.1986) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Beklagte habe die nach § 45 SGB X vorgeschriebene Ermessensausübung mit dem Bescheid vom 11.12.1986 nachholen dürfen. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldbewilligung hänge nun primär davon ab, ob dem Kläger zur Zeit der Aufhebung materiell-rechtlich ein Anspruch zugestanden habe. Die hier umstrittene Frage des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet sei auf der Grundlage der Prognose über seinen weiteren Verbleib zu beantworten. Von der Prognose zur Zeit der Bewilligungsentscheidung und zur Zeit der Rücknahmeentscheidung hänge ferner ab, ob § 45 SGB X oder § 48 SGB X anzuwenden sei. Falls materiellrechtlich zur Zeit der Rücknahme kein Kindergeldanspruch mehr bestanden habe, seien die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Voraussetzungen für eine Rücknahme der Kindergeldbewilligung für die Zukunft und für die Vergangenheit zu prüfen. Bei einer Rücknahme nach § 45 SGB X könne Bösgläubigkeit nicht schon aufgrund des Bescheids vom 22.05.1985 angenommen werden.
Im Laufe des Verfahrens sind folgende Auskünfte der Ausländerbehörden eingeholt worden:
- Auskunft des Landratsamts E. vom 09.06.1986: Im Falle einer rechtskräftigen Ablehnung des Asylantrags werde der Kläger eine Ausreiseaufforderung erhalten. Eine eventuell erforderlich werdende Abschiebung nach Jordanien könne nach gründlichster Prüfung des § 14 des Auslän...