Entscheidungsstichwort (Thema)

Witwenrente nach Heirat mit einem bereits lebensbedrohlich Erkrankten

 

Leitsatz (amtlich)

Litt der Versicherte zum Zeitpunkt der Heirat an einer offenkundig lebensbedrohlichen Erkrankung, müssen zur Widerlegung der Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI besonders gewichtige innere und äußere Umstände vorliegen, die im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung gegen eine Versorgungsehe sprechen. Die wiederholte Äußerung von Heiratsabsichten oder abstrakte Heiratspläne genügen nicht. Vielmehr muss sich die Heirat als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Erkrankung bestehenden Entschlusses darstellen (vorliegend verneint).

 

Normenkette

SGB VI § 46 Abs. 2a; SGG § 54 Abs. 1, 4, §§ 56, 95, 128 Abs. 1, § 202; ZPO § 292

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.11.2023; Aktenzeichen B 5 R 91/23 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer großen Witwenrente streitig.

Die 1948 geborene Klägerin ist Witwe des bei der Beklagten rentenversicherten G1 (Versicherter), wobei dieser die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte. Der 1959 geborene Versicherte verstarb 2018 in B1 (Bl. 39 der Verwaltungsakten). Die Klägerin und der Versicherte heirateten nach 15 Jahren eheähnlicher Lebensgemeinschaft am 01.03.2018 (Bl. 43 der Verwaltungsakten). Der Klägerin ist derzeit unverheiratet.

Wegen Schmerzen im Unterbauch erfolgten bei dem Versicherten im Juni 2017 eine Coloskopie (Bericht des R1 vom 01.06.2017, Bl. 71 der SG-Akten) sowie im Juli 2017 eine Kernspintomographie des Mittel- und Unterbauchs (Bericht des P1 vom 27.07.2017, Bl. 72 der SG-Akten): diese Untersuchungen ergaben keinen pathologischen Befund, insbesondere fand sich kein Nachweis einer tumorsuspekten Verdickung. Bei fortbestehenden Oberbauchschmerzen ergab eine Gastrokopie vom 13.09.2017 den Befund eines Magenkarzinoms in Form eines großen flachen Ulcus im mittleren Magen (Befundbericht des R1 vom 13.09.2017, Bl. 74 der SG-Akten). Der H1 berichtete im Befundbericht vom 19.09.2017 (Bl. 76 der SG-Akten) über den Nachweis von Anteilen eines mäßig differenzierten Adenokarzinoms. Das initiale Tumorstadium wurde mit cT3 cN + cM0 angegeben (vgl. Bericht vom 05.10.2017, Bl. 82 ff der SG-Akten). Seinerzeit fand sich kein Hinweis auf eine Fernmetastasierung. Von Oktober bis November 2017 erfolgten vier Zyklen einer neoadjuvanten (voroperativen) Chemotherapie (Bericht vom 05.10.2017, Bl. 117 der SG-Akten). Während des stationären Aufenthalts vom 04.01. bis zum 14.01.2018 erfolgten u.a. eine vollständige chirurgische Resektion des Magens mit Ösophagojejunostomie und eine Entfernung der Gallenblase (Bericht vom 14.01.2028, Bl. 123 der SG-Akten). Während des stationären Aufenthalts wurden eine Infiltration der Lymphbahnen mit Krebszellen, Lymphknotenmetastasen in 22 von 30 loco-regionalen Lymphknoten und eine Peritonealkarzinose (Karzinose des Bauchfells) festgesellt. Es trat zudem eine Armvenenthrombose rechts auf. Die Tumorklassifikation änderte sich auf: ypT4a ≪ Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung auf die Brustwand oder Haut≫, ypN3b (22/30) ≪Lymphknotenbefall≫, L1 ≪Invasion in Lymphgefäße≫, V1 ≪Invasion in Venen≫. Nach Rücksprache mit dem Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT) wurde empfohlen:

„Bei fehlendem bildmorphologischem und pathologischem Ansprechen auf die neoadjuvante Chemotherapie sowie nachgewiesener Peritonealkarzinose besteht Zurückhaltung gegenüber einer adjuvanten Fortführung des neoadjuvanten Schemas bei schlechter Datenlage zum Nutzen von Chemotherapie bei (klinisch manifestierter) Peritonealkarzinose.“

Anlässlich der ambulanten Vorstellung am 14.02.2018 wurden das Tumorstadium ypT4a ypN3b (22/30) M1 ≪Fernmetastasen vorhanden≫ und der Regressions-Grad nach Becker mit III ≪geringes Ansprechen auf die Chemotherapie≫ festgehalten, von einer Fortführung der Chemotherapie abgeraten sowie eine bildgebende Verlaufskontrolle in zwei Monaten und eine Ernährungsberatung empfohlen (Bericht vom 14.02.2018, Bl. 93 der SG-Akten). In der Anamnese berichtete der Versicherte, dass er sich nach der Operation gut erholt habe, keine Schmerzen mehr bestünden. Allerdings sei es seit der Entlassung nochmals zu einem Gewichtsverlust von 4 bis 5 kg gekommen. Seit der Operation habe er mehrfach täglich Diarrhoe. In der Verlaufskontrolle am 28.03.2018 zeigte sich ein Progress der Erkrankung. Im CT wurden neu aufgetretene Aszites (Ansammlung von freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle aufgrund einer Störung des Lymphsystems), eine Wandverdickung des Magens sowie größenprogrediente mediastinale Lymphknoten sowie ein Harnstau festgestellt. Bei eindeutigem Progress der Erkrankung wurde die Einleitung einer palliativen Systemtherapie mittels FOLFIRI (Dreifachkombination Folinsäure ≪Leucovorin≫/5-FU/Irinotecan) em...

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