Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirtschaftliche Unfallversicherung. Verletztenrente. landwirtschaftlicher Unternehmer. Mindest-MdE gem § 80a SGB 7. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Erhöhung der Mindest-MdE von 20 auf 30 vH für einen Anspruch auf Verletztenrente durch § 80a SGB VII für landwirtschaftliche Unternehmer ist mit der Verfassung, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, vereinbar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.03.2018; Aktenzeichen B 2 U 6/17 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30.11.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt wegen der gesundheitlichen Folgen einer dem Grunde nach als Berufskrankheit (BK) nach den Nrn. 2108 und 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anerkannten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) die Gewährung von Verletztenrente. In der Sache streiten die Beteiligten über die Gültigkeit, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit, des § 80a Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).

Der 1953 geborene Kläger verrichtete von 1967 bis zum 31.12.2012, unterbrochen nur von der Tätigkeit als Wehrdienstleistender für die Deutsche Bundeswehr im Zeitraum vom 01.03.1973 bis 01.06.1974, überwiegend körperlich schwere Tätigkeiten in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Aus den Angaben des Klägers zur Beschäftigung (Erklärung vom 13.06.2014, Bl. 19/1 Verwaltungsakte der Beklagten - VA) und den Erhebungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Arbeitsplatzanalyse vom 10.09.2014, Bl. 36/4 VA) ergibt sich, dass er den elterlichen Betrieb bis 1985 gemeinsam mit seinem Vater bewirtschaftete. Danach, seit dem 01.01.1986, war er bis zur Verpachtung des Betriebes im Jahr 2012 als selbständiger landwirtschaftlicher Unternehmer im eigenen Betrieb tätig. Im Obst- und Gemüsebau bei der Aussaat, Pflanzung, Pflege, Ernte, Verladung, dem Verkauf und dem Transport der Waren habe er nach seinen Angaben in erheblichem Umfang schwere Lasten von Hand gehoben und getragen sowie Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verrichtet. Darüber hinaus sei er beim Bewegen von Schleppern Ganzkörper-Schwingungen im Sitzen ausgesetzt gewesen. Seine Tätigkeit als Landwirt mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung gab er gemäß schriftlicher Erklärung vom 22.04.2015 am 01.01.2013 endgültig auf.

Mit Fax vom 17.04.2013 beantragte der Kläger die Anerkennung einer BK 2108 ff.

Die Beklagte zog bei der Radiologischen Gemeinschaftspraxis E. die verfügbaren Befundberichte über den Kläger bei. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. F. erklärte mit Auskunft vom 16.07.2014 (Bl.28/1 VA), erstmals habe der Kläger ihn im Oktober 2012 wegen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen in der LWS in Anspruch genommen. Der Orthopäde B. berichtete mit Erklärung vom 11.07.2014 (Bl. 30/1 VA) von einer Behandlung seit März 1999 wegen ausgeprägter LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in das linke Bein.

Mit Arbeitsplatzanalyse vom 10.09.2014 kam der Präventionsdienst der Beklagten zu dem Ergebnis, dass der Kläger von 1967 bis 2012 insgesamt 46 Jahre lang mit Tätigkeiten beschäftigt gewesen sei, bei denen er Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten und/oder Ganzkörperschwingungen ausgesetzt gewesen sei. Der Präventionsdienst ermittelte nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) einen Dosiswert für das Heben und Tragen schwerer Lasten von 32.621.477 Nh, entsprechend 130,5% des Mindestdosiswertes von 25 mal 106 Nh für Männer. Nach dem von Depuis vorgeschlagenen Ermittlungsverfahren zur Schwingungsbelastung ermittelte der Präventionsdienst einen Dosiswert für Ganzkörperschwingungen von 643 (m/s²)², entsprechend 44,4% des Dosisrichtwertes für Ganzkörperschwingungen, wobei dieser Wert von epidemiologischen Studien an Fahrern schwerer Erdbaumaschinen abgeleitet sei.

Am 15.10.2014 erhob der Kläger Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Freiburg (SG).

Am 20.02.2015 erstattete der Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Prof. Dr. S. ein Gutachten über den Kläger, der bei eingeschränkter Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) einen deutlichen Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der distalen LWS-Hälfte feststellte. Dort bestünde eine paravertebrale druckschmerzhafte Muskelverspannung beidseits. Bei Überprüfung der Reklination habe ein deutlicher praesacraler Schmerz bestanden. Im Röntgenbild bestünden im Bereich der LWS ausgeprägte degenerative Veränderungen bei L4/5, geringer bei L5/S1. Bei L4/5 sei der Zwischenwirbelraum bis auf Strichweite eingeengt, umgeben von Sklerosierungen der Grund- und Deckplatten und begrenzt durch ventrale und dorsale Spondylophyten. Auch der Zwischenwirbelraum L4/S1 (richtig wohl: L5/S1) sei verschmälert mit dorsalen Ostephyten und dadurch nicht sicher abgrenzbarem Foramen intervertebrale. Er beurteilte dies als ausgeprägte degenerative Veränderungen im Sinne einer Osteochondrose un...

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