Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. psychiatrisches Sachverständigengutachten. persönliche Exploration durch den Gutachter. Begutachtungszeit von 30 Minuten. Pflicht zur Prüfung der Angaben des Probanden. sozialgerichtliches Verfahren. Heranziehung von Sachverständigengutachten aus vorangegangenen Klageverfahren. soziales Entschädigungsrecht. Gewaltopfer. GdS-Feststellung. posttraumatische Belastungsstörung. Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gutachten aus vorangegangenen Klageverfahren können als Sachverständigenbeweis verwertet werden.

2. Bei der psychiatrischen Begutachtung muss der Sachverständige die Untersuchung im wesentlichen Umfang selbst durchführen; dies ist nicht der Fall, wenn es schlechterdings unmöglich ist, sich in der vorgegebenen Zeit einen Eindruck von dem Probanden zu verschaffen.

3. Sachverständige müssen für die Feststellung der Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung die Angaben des Probanden auf Vollständigkeit, Richtigkeit und mögliche Inkonsistenzen überprüfen.

 

Orientierungssatz

Ein Zeitfenster von 30 Minuten für die persönliche Exploration reicht bei einem außerordentlich mit dem Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erfahrenen Sachverständigen aus, um zu einer abschließenden Einschätzung zu gelangen.

 

Normenkette

ZPO § 407a Abs. 2 S. 1, § 411a; OEG § 1 Abs. 1 S. 1; BVG § 30 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1 Sätze 1-2; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; SGG § 118 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 9. Juli 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Feststellung eines depressiven Syndroms mit Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als weiterer Schädigungsfolge und zur Gewährung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) aufgrund eines von ihm anerkannten tätlichen Angriffs am 30. August 1993 im Wege des Zugunstenverfahrens.

Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Elektroinstallateur und arbeitete bis zum Jahr 1988 in diesem Beruf, danach bis zum Jahr 2004 als technischer Hausmeister in einem Altenheim und zuletzt als Hausmeister für eine Großwohnanlage in einem sozialen Brennpunkt. Er bezieht seit dem Jahr 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aktuell übt er eine Nebentätigkeit als Fahrdienst für behinderte Kinder zweimal täglich aus.

Der Kläger erlitt im Laufe seines Lebens zahlreiche Unfälle und war verschiedenen Angriffshandlungen ausgesetzt. Als Kind wurde ihm durch einen Sturz in eine Glasscheibe beinahe sein rechter Arm abgetrennt. Er vergiftete sich mit einer unbekannten Flüssigkeit. Er litt unter Zwölffingerdarmgeschwüren. Zwischen 1978 und 1987 hatte er drei Arbeitsunfälle, zwei davon Wegeunfälle in Form von Auffahrunfällen, beim ersten noch ohne Kopfstütze. Folgen waren wochenlange Kopfschmerzen (Gutachten Dr. Sch., Bl. 42 SG-Akte S 10 VG 2715/06). Im Rahmen seiner Tätigkeit im Altenheim fand er einen toten Bewohner auf, der aus dem 7. Stock gesprungen war (vgl. Lebenslauf, Bl. 42 ff. SG-Akte). Nach dem den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden tätlichen Angriff hatte er im Jahr 1996 einen weiteren Arbeitsunfall. Im Jahr 1997 wurde sein Vater vom Auto angefahren und pflegebedürftig. Der Kläger übernahm den Großteil der Pflege. Jahre später wurde an derselben Stelle seine Katze von einem Auto überfahren (Attest Dr. H., Bl. 238 OEG-Akte). In den Jahren 1999/2000 hatte er einen Motorradunfall, als ihm ein Hund vor das Fahrzeug lief. Mit dem Hundehalter einigte er sich außergerichtlich auf eine Schmerzensgeldzahlung (Gutachten Dr. Sch., Bl. 47 SG-Akte S 10 VG 2715/06). Nachdem der Träger des Altenheims im Jahr 2001 gewechselt hatte, fühlte er sich am Arbeitsplatz zunehmend gemobbt und war von Mitte 2003 bis Ende 2004 insgesamt 17 Monate wegen der dadurch verursachten psychosomatischen Beschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Bereits im Februar 2002 hatte er einen Autounfall, als ihn zwei Betrunkene von der Fahrbahn drängten. Im März 2002 verdrehte er sich bei einem Arbeitsunfall im Altenheim das rechte Knie. Im Mai 2002 wurde er im Anschluss an einen Streit im Straßenverkehr zusammengeschlagen (vgl. Lebenslauf a.a.O.). Bei seiner letzten Tätigkeit als Hausmeister in einer Großwohnanlage sah er sich regelmäßig Tätlichkeiten und Bedrohungen ausgesetzt. Ab dem Jahr 2003 pflegte er zusätzlich seine Mutter nach einem Schlaganfall. Beide Eltern starben im Jahr 2005. Nachfolgend gab es einen Erbschaftsstreit mit den Geschwistern (vgl. Gutachten E., Bl. 212 der LSG-Akte).

Am 30. August 1993 wurde der Kläger Opfer eines tätlichen Angriffs, als der Täter ihm - wohl im Zusammenhang mit einem Parkplatzstreit - auf einem Supermarktparkplatz mit einer Gaspistole ins Gesicht schoss. Er erlitt ein Knalltrauma am linken Ohr mit Tinnitus und Hörverlust, Parästhesien am linken Unte...

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