Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Klassenfahrt. sachlicher Zusammenhang. organisatorischer Verantwortungsbereich der Schule. Handlungstendenz. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. gemeinsame Feier auf einem Zimmer. individuelle Bequemlichkeit. Dachklettern. Rauchen. Alkoholkonsum. 17 jähriger Schüler
Leitsatz (amtlich)
Bei Klassenfahrten können Gefährdungen nicht nur aus dem natürlichen Spieltrieb, sondern auch aus den auf dem typischen Gruppenverhalten beruhenden Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen resultieren. Das ist nicht der Fall, wenn die individuelle Bequemlichkeit des Schülers ausschlaggebend für sein Tun gewesen ist, es sich konkret während des Ereignisses um keine Gemeinschaftsveranstaltung im Rahmen der Klassenfahrt gehandelt hat, Alkoholkonsum auf der Studienfahrt verboten war und die individuelle (Fehl-)Entscheidung nicht durch vorheriges Handeln Dritter gefördert worden ist.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. April 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit steht die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall.
Der am … 1995 geborene Kläger, der mittlerweile das Abitur ablegen konnte und im Wintersemester 2014/2015 mit dem Studium BWL/Sportmanagement beginnen wird, nahm als Schüler der 12. Klasse des R.-Gymnasiums in W. an einer Studienfahrt nach E./G. vom 16. (Sonntag) bis 20.09.2012 teil. Die Gruppe bestand aus etwa 20 Teilnehmern, von denen der Kläger allerdings nur drei weitere Schüler, von denen zwei bereits volljährig waren, näher kannte und mit denen er in der Jugendherberge in E. gemeinsam ein Zimmer bezog. Die Schüler wurden von zwei Lehrern des R.-G. begleitet und beaufsichtigt.
Am 16.09.2012 flog die Gruppe von S. nach M.. Obwohl der Kläger nach eigener Einlassung zuvor eine Erklärung der Schule unterschrieben hatte, in der u. a. auf ein Alkoholverbot während der Studienfahrt hingewiesen worden war, kaufte er auf dem Flughafen M. zwei Flaschen Wodka. Hierfür hatte er sich bereits in Deutschland den Personalausweis eines volljährigen Freundes ausgeliehen, den er im Falle einer Alterskontrolle nutzen wollte. Nach der Ankunft in E. und einem gemeinsamen Abendessen trafen sich alle Teilnehmer zu einem Gespräch über die weitere Abendgestaltung. Mit Ausnahme des Klägers und seiner drei Klassenkameraden beschlossen alle anderen, mit den beiden Aufsichtslehrern einen Pub zu besuchen. Gegen 21.00 Uhr verließen diese die Jugendherberge, während der Kläger mit seinen drei Kameraden auf ihr gemeinsames Zimmer im 1. Obergeschoss ging, um dort zu feiern. Hierbei wurde auch Wodka konsumiert und geraucht, wobei das Rauchen laut Hausordnung innerhalb der Jugendherberge nicht gestattet und in dem Zimmer auch ein Rauchmelder installiert war. Die Schüler verließen daher zunächst zum Rauchen das Zimmer und gingen nach unten vor das Haus. Als der Kläger und sein Freund M. H. gegen Mitternacht erneut eine Zigarette rauchen wollten, wollten sie hierfür nicht noch einmal vor das Haus. Stattdessen gingen sie in das zum Zimmer gehörende Badezimmer, das über keinen Rauchmelder, dafür ein Dachflächenfenster verfügte, während die beiden anderen Schüler im Schlafzimmer blieben. Über die darunter installierte Toilette kletterte der Kläger in Strümpfen aus dem Fenster auf das Dach und setzte sich auf die Kante des Fensterrahmens mit den Füßen nach außen. Sein Freund M. H. setzte sich neben ihn mit den Füßen nach innen. Als der Kläger begann sich zu erbrechen, überredete ihn M. H. wieder herein zu kommen. Da der Kläger dies in sitzender Position nicht vermochte, stand er auf, verstaute die Zigarettenschachtel in seiner Tasche, verlor dabei die Balance und fiel aus einer Höhe von ca. 5 bis 6 Meter vom Dach (vgl. den Unfallbericht der Y. E., S. 12 sowie Sitzungsniederschrift des Sozialgerichts Stuttgart ≪SG≫ vom 29.04.2014).
Der Kläger wurde von der Bergwacht geborgen, vom Rettungsdienst in das S. H. Hospital S. England zur Erstversorgung gebracht sowie von dort in das Klinikum in M. verlegt, wo er am 17.09.2012 operiert wurde. Anschließend befand sich der Kläger zur querschnittspezifischen Weiterbehandlung vom 02.10. bis 22.11.2012 im S. Klinikum K.-L., wo die Diagnosen BWK 8/9-Fraktur (16.09.2012), dorsale Spondylodese (M. 17.09.2012), sensomotorisch komplette Paraplegie, Platzwunde parietooccipital sowie Lungenkontusion rechts gestellt wurden. Es verblieb eine motorisch und sensibel komplette traumatische Querschnittslähmung (Abschlussbericht Bad W. vom 24.01.2013).
Am 26.09.2012 zeigte das R.-G. den Unfall bei der Beklagten an. Mit Bescheid vom 06.03.2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 16.09.2012 als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der Kläger im Rahmen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit während der Studienfahrt verunglückt sei. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger weitere me...