Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. Leistungsgewährung. verspätete Antragstellung. Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips und der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (hier: verneint). sozialgerichtliches Verfahren. fehlende Unterschrift unter Urteil. formlose Nachholung innerhalb von fünf Monaten. ex nunc-Wirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Das für den Bereich gesetzlicher Sozialleistungen entwickelte Meistbegünstigungsprinzip findet zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung Privatversicherter unter Berücksichtigung der vertraglichen Fürsorgepflichten auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung Anwendung. Dies gilt auch für die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, die entsprechend anwendbar sind.
2. Eine fehlende Unterschrift unter einem Urteil kann innerhalb von fünf Monaten jederzeit formlos nachgeholt werden, auch wenn das Urteil bereits zugestellt und ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die nachgeholte Unterschrift durch Namensnennung am Ende des Dokuments und die qualifizierte Signatur wirken dann ex nunc.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch die Gewährung von Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld im Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach der Pflegestufe 1 und im Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2 streitig.
Der 1957 geborene Kläger war zuletzt als Diplom-Ingenieur beschäftigt. Er ist bei der Beklagten seit 1995 privat kranken- und pflegeversichert. Grundlage des Pflegeversicherungsvertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV, Zusatzvereinbarungen und Tarifbedingungen).
Nach einer am 3. April 2013 im Krankenhaus B2 durchgeführten Nasennebenhöhlenoperation trat bei dem Kläger ein intraorbitaler Abszess, ein präseptaler Abszess am Unterlid und eine putride Sinusitis maxillo-fronto-ethmoidalis mit Exophthalmus und Ophthalmoplegie auf. Am 6. April 2013 wurde am Universitätsklinikum T1 - Department für Augenheilkunde -notfallmäßig eine laterale Kantholyse, eine Kanthotomie rechts sowie endoskopisch eine endonasale Revisions-Fronto-Spheno-Ektomie mit medialer und infero-medialer Orbitadekompression durchgeführt. In der Folge erlitt der Kläger eine komplette Optikusatrophie mit vollständigem Visusverlust/Erblindung am rechten Auge bei bereits bestehender hochgradiger Amblyopie am linken Auge. Vor der Entlassung aus der stationären Behandlung im Universitätsklinikum T1 am 16. April 2013 fand am 12. April 2013 eine Sozialberatung durch G1 statt. Durch die Assistenzärztin G2 wurde am 15. April 2013 auf unbestimmte Zeit Fahruntüchtigkeit festgestellt.
Mit Schreiben vom 12. April 2013teilte die Beklagte dem Kläger mit, durch die Aufnahmeanzeige des Krankenhauses erfahren zu haben, dass er arbeitsunfähig erkrankt sei. Die Krankentagegeldversicherung sehe eine Karenzzeit von sechs Wochen vor, weshalb der Kläger spätestens am 14. Mai 2013 mitteilen solle, ob noch völlige Arbeitsunfähigkeit vorliege.
Am 18. April 2013 wandte sich der Kläger telefonisch an die Beklagte und teilte mit, weiterhin arbeitsunfähig zu sein und sicher auch über die Karenz zu kommen. Außerdem vermute er einen Behandlungsfehler. Er habe den Eindruck, dass der Verlust der Sehfähigkeit eine Folge der OP sei. Der Kläger wurde aufgefordert, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen und vorhandene Berichte und OP-Berichte einzureichen. In einem weiteren Telefonat am 18. April 2013 wurde der Ehefrau des Klägers das Prozedere bei einem vermuteten Behandlungsfehler erläutert. Weitere telefonische Kontakte zwischen dem Kläger und der Beklagten sind am 8. Mai 2013 wegen der Anforderung von Unterlagen sowie am 10. Juni 2013, am 7. August 2013 und am 25. September 2013 wegen der Übernahme von Fahrt- und Taxikosten dokumentiert.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2013 bat die Beklagte den Kläger um Übersendung der Entlassungsberichte der stationären Behandlungen. Mit Schreiben vom 10. Juni 2013 wurde der Kläger an die Beibringung eines Gedächtnisprotokolls und eines OP- und Entlassungsberichts erinnert. Mit Schreiben vom 10. Juli 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, das Ergebnis der beratungsärztlichen Stellungnahme liege vor. Der Beratungsarzt sei der Ansicht, dass zwar im präoperativen Aufklärungsbogen in der Regel auf mögliche Abszessbildungen hingewiesen werde, jedoch bereits beim Entlassungsgespräch eine Bildgebung hätte erfolgen müssen. Eine Bildgebung sei jedoch nach den vorgelegten Unterlagen unterblieben. Die postoperative Verabreichung von Antibiotika sei dagegen nicht obligatorisch. Dem Kläger werde empfohlen, den Fall dem Gutachterausschuss der zuständigen Bezirksärztekammer vorzulegen.
Vom 15. Mai 2013 bis zum 31. März 2014 erhielt der Kläger von der ...