Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Tumorendoprothese. Abschluss der Heilungsbewährung. Vorliegen einer Behinderung. Differenzierung nach Lebensalter. Maß der Teilhabebeeinträchtigung. altersübergreifende Betrachtung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. besondere Gegebenheiten. Merkzeichen G. erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. fehlende Verordnungsermächtigung. Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Abweichung vom alterstypischen Zustand. Wesentliche Änderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Feststellung des GdB ist eine Differenzierung nach Lebensalter nur bei der Beurteilung, ob eine Behinderung vorliegt, geboten. Das Maß der aus der Behinderung resultierenden Teilhabebeeinträchtigung ist dagegen grundsätzlich altersunabhängig zu bestimmen. Das Abstellen auf altersunabhängige Funktions-Mittelwerte in den GdB-Ansätzen der Vers-MedV und der VG widerspricht nicht höherrangigem Recht.

2. Besondere Gegebenheiten iS von Teil A 2. d) VG, die im Einzelfall eine Abweichung von den GdB-Tabellenwerten erlauben, können daher systemimmanent nur bei atypischen krankheitsspezifischen Auswirkungen auf den Behinderungszustand und nicht allein wegen des Lebensalters angenommen werden.

 

Orientierungssatz

Die in Teil D Nr 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV) getroffenen Regelungen sind mangels Rechtsgrundlage unwirksam (so auch LSG Stuttgart vom 14.8.2009 - L 8 SB 1691/08 = Breith 2010, 169).

 

Normenkette

SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 69 Abs. 1, § 145 Abs. 1 S. 1, § 146; BVG § 30 Abs. 1, 16; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 31.10.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, den dem Kläger zuerkannten Grad der Behinderung (GdB) nach Eintritt der Heilungsbewährung eines Tumorleidens von 60 auf 30 herabzusetzen sowie das Merkzeichens “G„ zu entziehen.

Der 1987 geborene Kläger litt im Juli 2006 an einem bösartigen Tumor am körperfernen rechten Oberschenkelknochen. Am 11.09.2006 erfolgte eine operative Entfernung des Tumors sowie die Implantation einer Tumorendoprothese (Mutars-Prothese).

Das Landratsamt E. (LRA) stellte auf den Antrag des Klägers vom 11.01.2007 (Blatt 1/2 der Beklagtenakte) mit Bescheid vom 12.03.2007 (Blatt 25/28 der Beklagtenakte) beim Kläger einen GdB von 60 seit dem 01.08.2006 fest (zugrundeliegende Funktionsbeeinträchtigung: Kniegelenksendoprothese rechts, Knochenerkrankung, Erkrankung des rechten Beines ≪in Heilungsbewährung≫; zur versorgungsärztlichen Stellungnahme vgl. Blatt 23/24 der Beklagtenakte) und erkannte das Merkzeichen “G„ zu.

Im September 2011 (Blatt 31 der Beklagtenakte) teilte das LRA dem Kläger mit, die Feststellungen von Amts wegen zu überprüfen. Der Kläger gab an (Blatt 33/34 der Beklagtenakte), am 12.09.2011 einen Kontrolltermin gehabt zu haben. Daraufhin zog das LRA den Bericht von Prof. Dr. Bi. vom 15.11.2011 (Blatt 36/37 der Beklagtenakte) bei.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.12.2011 (Blatt 38/39 der Beklagtenakte) führte Dr. Schw. aus, nach Eintritt einer Heilungsbewährung sei für die Mutarsprothese des rechten Kniegelenks ein Teil-GdB von 30 anzusetzen, die Voraussetzungen für das Merkzeichen G seien nicht mehr nachgewiesen.

Das LRA hörte den Kläger mit Schreiben vom 29.12.2011 (Blatt 40 der Beklagtenakte) zur Herabbemessung des GdB auf 30 sowie zur Entziehung des Merkzeichens “G„ an.

Mit Bescheid vom 28.03.2012, am selben Tag zur Post gegeben, (Blatt 41/43 der Beklagtenakte) hob das LRA den Bescheid vom 12.03.2007 auf und stellte ab dem 31.03.2012 einen GdB von 30 fest, zugleich stellte das LRA fest, die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens “G„ lägen ab dem 31.03.2013 nicht mehr vor.

Mit seinem Widerspruch vom 25.04.2012 (Blatt 45, 48, 50/51 der Beklagtenakte) machte der Kläger u.a. geltend, bei der Bewertung des GdB seien nicht alle gegebenen Beeinträchtigungen berücksichtigt worden. Bei der Tumor-Resektion sei am rechten Oberschenkel auch ein großer Muskelanteil entfernt worden, was zu großen Beschwerden im Alltag führe.

Das LRA zog einen Bericht von Prof. Dr. Wi. vom 04.05.2012 bei (Blatt 52/53 der Beklagtenakte), woraus sich eine Beweglichkeit des rechten Knies vom (Flexion/Extension) 100/0/0o bei gerader Beinachse und seitengleicher Beinlänge ergibt; beim Anhebeversuch erkenne man eine muskuläre Schwäche, was durchaus Mühe bereite.

Unter Berücksichtigung einer versorgungsärztlicher Stellungnahme von Dr. Si. vom 29.06.2012 (Blatt 55/56 der Beklagtenakte) wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 07.09.2012, Blatt 59/61 der Beklagtenakte) zurück. Nachdem bezüglich der Tumorerkrankung eine Heilungsbewährung eingetreten sei, müsse de...

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