Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze. keine Beendigung der Versicherungspflicht bei Prognose entgeltgeminderter Zeiten im Folgejahr durch Entgeltausfälle von Schwangeren bzw Müttern infolge der Beschäftigungsverbote des Mutterschutzgesetzes
Leitsatz (amtlich)
Die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung endet gemäß § 6 Abs 4 SGB V nicht, wenn das Arbeitsentgelt des Versicherten die Jahresarbeitsentgeltgrenze zwar im aktuellen Kalenderjahr überschreitet (§ 6 Abs 4 S 1 SGB V), aber bei Ablauf des Überschreitungsjahrs hinreichend sicher zu prognostizieren ist, dass es die für das folgende Kalenderjahr geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze wegen entgeltgeminderter Zeiten nicht übersteigen wird (§ 6 Abs 4 S 2 SGB V). Das gilt insbesondere für Entgeltausfälle von Schwangeren bzw Müttern infolge der Beschäftigungsverbote des Mutterschutzgesetzes. Das Arbeitsentgelt des auf das Überschreitungsjahr folgenden Kalenderjahres ist unter Berücksichtigung dieses Umstandes zu schätzen.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.04.2015 aufgehoben. Die Bescheide der Beklagten vom 07.08.2013, 20.09.2013 und vom 21.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.03.2014 sowie die Bescheide der Beklagten vom 12.01.2015, 15.01.2015 und vom 17.04.2015 werden aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung freiwilliger Beiträge zur Krankenversicherung für die Zeit vom 02.07.2013 bis 02.05.2015.
Die 1982 geborene, mit einem (nicht versicherungspflichtigen) Beamten verheiratete Klägerin ist seit 2003 bei der L. B. beschäftigt. Vom 25.11.2002 bis 31.12.2012 wurde sie von der Beklagten als versicherungspflichtiges Mitglied (Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Beschäftigten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch ≪SGB≫ Fünftes Buch, SGB V) geführt. Im Jahr 2012 betrug das Bruttogehalt der Klägerin nach einem Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 50.776,00 €. Zum 01.07.2012 wurde es auf 3.729,00 € monatlich erhöht (zzgl. vermögenswirksamer Leistungen von 480,00 € im Jahr).
Nachdem das Monatsgehalt der Klägerin zum 01.07.2012 auf 3.729,00 € (brutto) erhöht worden war, teilte ihr die L. B. mit (nicht in den Verwaltungsakten befindlichem) Schreiben vom 17.01.2013 mit, die für das Bestehen von Krankenversicherungspflicht maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze werde im laufenden Kalenderjahr (2013) überschritten. Das ergebe die Berechnung auf der Grundlage des Gehaltsanspruchs für Dezember 2012. Danach betrage das Bruttojahresarbeitsentgelt 44.748,00 € (3.729,00 € x 12) zzgl. vermögenswirksamer Leistungen von 480,00 € (40,00 € x 12) und der 13. und 14. Sonderzahlung von 7.458,00 € (3.729,00 € x 2), insgesamt also 52.686,00 €. Die Jahresarbeitsentgeltgrenze für 2012 und 2013 (50.850,00 € bzw. 52.200,00 €) werde daher überschritten. Die L. B. meldete die Klägerin bei der Beklagten ab 01.01.2013 als versicherungsfreie Arbeitnehmerin an und führte Beiträge weiterhin unmittelbar an diese ab.
Die Klägerin befand sich nach einer Bescheinigung der Frauenärztin L. vom 18.10.2012, die sie der L. B. vorgelegt hatte, seinerzeit in der 11. Schwangerschaftswoche. Ab 22.03.2013 (letzter Arbeitstag 21.03.2013) befand sich die Klägerin im Mutterschutz mit Bezug von Mutterschaftsleistungen (Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs. 1 Mutterschutzgesetz ≪MuSchG≫ bis 01.07.2013 i.H.v. 13,00 € kalendertäglich zzgl. eines Arbeitgeberzuschusses von 67,57 € bis 30.06.2013 und von 64,32 € am 01.07.2013) und nach der Geburt ihres Sohnes am 03.05.2013 ab 03.07.2013 bis 02.05.2015 in Elternzeit, deren Gewährung sie von der L. B. unter dem 20.02.2013 verlangt hatte. Während der Elternzeit bezog sie Elterngeld (nach §§ 1 ff. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz ≪BEEG≫, regelmäßig 698,38 € monatlich). Sie war ab 22.03.2013 bis 02.05.2015 nicht berufstätig und hat Arbeitsentgelt (von der L. B.) während dieser Zeit nicht bezogen. Seit 03.05.2015 ist die Klägerin bei der L. B. wieder voll berufstätig.
Mit Schreiben vom 11.07.2013 und vom 30.07.2013 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage einer Einkommenserklärung und von Einkommensnachweisen auf. Mit Schreiben vom 23.07.2013 teilte sie ihr mit, sie sei seit 01.01.2013 freiwillig versichert, da ihr Arbeitgeber sie als versicherungsfreie Arbeitnehmerin angemeldet habe.
Unter dem 05.08.2013 legte die Klägerin eine formularmäßige Einkommenserklärung vor (Angabe u.a. des Elterngeldes und der Bezüge ihres Ehemannes).
Mit (auch im Namen der Pflegekasse ergangenem) Bescheid vom 07.08.2013 stufte die Beklagte die Klägerin in die Beitragsklasse 801 ein und setzte den monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag für die Zeit vom 02.07.2013 bis 31.07....