Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. posttraumatische Belastungsstörung. fehlende Erinnerung an den Unfallhergang. sozialgerichtliches Verfahren. Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens. Erstellung des Gutachtens über ein Jahr nach dem Explorationsgespräch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wer während des Unfalls bewusstlos wurde und einen Gedächtnisverlust erleidet, bei dem kann auch keine PTBS ausgelöst werden, denn er kann sich an den Unfall nicht erinnern.

2. Ein psychiatrisches Gutachten ist im Regelfall nicht mehr für die Entscheidungsfindung verwertbar, wenn mehr als ein Jahr zwischen der Untersuchung und der Erstattung des Gutachtens liegt.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Juli 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Verletztenrente aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 11. Dezember 1998 streitig.

Der am ... November 1955 geborene Kläger erlernte in der ehemaligen DDR in den Jahren 1977 bis 1980 den Beruf eines Maschinenbauingenieurs und war zuletzt in diesem Beruf versicherungspflichtig bis zum Unfallereignis beschäftigt. Danach arbeitete er nicht mehr, bezog vielmehr seit dem 1. Dezember 2000 zunächst eine Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit (Rentenbescheid vom 31. Mai 2002, Bl. 375 V-Akte Bd. III), dann auf Dauer (Bescheid vom 16. Januar 2003) und - ausgehend von einem gerichtlichen Vergleich beim LSG vom 31. August 2011 - seit 1. Juni 2006 nach einem am 8. Mai 2006 eingetretenen Leistungsfall Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (L 5 R 4916/10).

Am 11. Dezember 1998 stürzte er bei seiner versicherten Tätigkeit fünf Meter tief direkt auf den Kopf in eine Montagegrube, ohne den Sturz mitbekommen zu haben oder sich später daran erinnern zu können, und war kurz primär wach, ansprechbar und orientiert. Die Erstversorgung fand stationär im Klinikum H. bis zum 7. Januar 1999 statt, wo eine laterale Mittelgesichtsfraktur rechts (Stirnbein und Orbitaboden), jeweils ohne Dislokation, eine Commotio cerebri und Zerrung der Nackenmuskulatur sowie eine Kniegelenksdistorsion rechts behandelt wurden. Nebenbefundlich wurde festgestellt, dass der Kläger an einem Morbus Bechterew leidet. Der Kläger konnte bei reizfreien Wundverhältnissen vollständig mobilisiert entlassen werden, wobei noch ein leichter Druckschmerz im Bereich der Nackenmuskulatur bei frei beweglicher Halswirbelsäule (HWS) sowie ein Resterguss des rechten Kniegelenks ohne Kniegelenksinstabilität bestand. Der Kläger klagte noch persistierend über Kopfschmerzen nach körperlicher Belastung, wobei die weitere Diagnostik der HWS keine pathologischen Veränderungen ergab.

Nachdem der Neurologe und Psychiater Dr. M. am 10. Februar 1999 ein leichtgradiges hirnorganisches Psychosyndrom (unsicheres Gangbild, keine Ataxie, bewusstseinsklar, allseits orientiert, Merkfähigkeit subjektiv gestört) feststellte (Bl. 20 f V-Akte Bd. I), wurde der Kläger vom 24. Februar bis 31. April 1999 erstmals in den K. S. behandelt, wo er über einen dumpfen Dauerkopfschmerz und Verschwommensehen sowie einen Verlust des Riechvermögens berichtete. Der Kläger wurde als wach und ausgeglichen ohne mnestische Störungen, mit unauffälliger Aufmerksamkeit und Psychomotorik sowie ohne grobe Auffälligkeiten der kognitiven Leistungen beschrieben. Im Rahmen des Heilverfahrens konnten auf motorischem Gebiet die meisten Verbesserungen erarbeitet werden, eine berufliche Reintegration wurde für möglich erachtet und eine Hirnleistungsstörung (starke Verlangsamung) beschrieben. Ein zweites stationäres Heilverfahren sei erforderlich (Entlassungsbericht vom 23. April 1999, Bl. 70 ff. V-Akte Bd. I).

Vom 28. Mai bis 14. Juli 1999 wurde der Kläger dann erneut in den K. S. behandelt, wo er wiederum über seine ständigen Kopfschmerzen und Lärmempfindlichkeit berichtete, aber bei der Anamnese keine auffälligen kognitiven Einschränkungen bei regelrechtem Antrieb zeigte. Es bestanden allerdings Hinweise auf eine Belastungsminderung. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig entlassen, wobei ein intensives neuropsychologisches Training angesichts der gezeigten erheblichen Minderung der konzentrativen Belastbarkeit (Verlangsamung, erhöhte Ermüdbarkeit mit zunehmenden Konzentrationsschwankungen) für erforderlich erachtet wurde. Obwohl im Schädel-CT, das in der Akutklinik durchgeführt worden sei, keine Kontusionen oder Blutungen erkennbar gewesen seien und somit eine Commotio cerebri diagnostiziert worden sei, sei aufgrund der bestehenden neuropsychologischen Einschränkungen, insbesondere der Belastungsminderung, schon von einem Kontusionsereignis auszugehen (Entlassungsbericht vom 11. August 1999, Bl. 104 ff. V-Akte Bd. I).

Ab 16. Februar 2000 wurde eine Belastungserprobung (je zwei Stunden an zwei Werktagen wöchentlich) durchgeführt (Schreiben vom 16. Februar 2000, Bl. 131 V...

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