Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Streitgegenstand. Anfechtung der Ablehnung der Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Leistungsbewilligung ab einem Zeitpunkt nach der (ersten) Antragstellung. keine Einbeziehung des Bewilligungsbescheids in den Rechtsstreit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Bescheid, mit dem Leistungen der sozialen Pflegeversicherung bewilligt werden, wird nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreites gegen einen Bescheid, mit dem ab einem früheren Zeitpunkt die Gewährung solcher Leistungen abgelehnt worden ist.

Streitgegenständlich ist in diesen Fällen nur der Zeitraum zwischen der (ersten) Antragstellung bei der Behörde und der Leistungsbewilligung durch den nicht streitgegenständlichen Bescheid.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 28. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin Pflegegeld zu gewähren ist.

Die Klägerin ist am 1950 geboren. Sie ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, einem Diabetes mellitus Typ II, einer diabetischen Polyneuropathie und Retinopathie (Netzhautveränderung), Bluthochdruck, kompensierter Niereninsuffizienz, koronarer Herzerkrankung. Im August 2012 hatte sie einen Herzinfarkt erlitten. Am 20. Februar 2013 erlitt sie eine subtrochantäre Fraktur (Bruch des Oberschenkelknochens) rechts und befand sich bis zum 22. März 2013 in stationärer Behandlung im S. F.-Hospital in W.. Sie lebt zusammen mit ihrem Sohn, der am 1976 geboren ist und seit 1. Januar 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht sowie für den ein rechtlicher Betreuer ohne Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts bestellt ist, in einer Ein-Zimmer-Wohnung.

Am 25. Juli 2013 beantragte die Klägerin Pflegegeld und Kombinationsleistungen. Sie gab an, durch ihren Sohn gepflegt zu werden. Sie benötige Hilfe bei der Zahnpflege, beim Kämmen sowie beim Gehen in der Wohnung. Teilweise benötige sie auch Hilfe bei der Teilwäsche, beim Duschen/Baden, beim Zuschneiden und Pürieren von Essen, beim Essen und Trinken sowie beim An- und Auskleiden von Unter- und Oberkörper. Sie gehe zwei bis vier Mal am Tag mit gefährlichen Gegenständen um, esse verdorbene Lebensmittel und trinke kochendes Wasser. Zwei bis sechs Mal am Tag würde sie Essensreste sammeln sowie Geld und andere Gegenstände verstecken. Eine angemessene Körperpflege, Ernährung oder Fortbewegung sei innerhalb der Wohnung nicht mehr möglich. Es bestehe ein unangemessenes Misstrauen/Reizbarkeit.

Pflegefachkraft L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) stellte in ihrem Gutachten vom 7. August 2013 auf Grund einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag einen grundpflegerischen Hilfebedarf von 16 Minuten pro Tag fest. Als pflegebegründende Diagnosen lägen bei der Klägerin eine Mobilitätseinschränkung mit leichter Gangunsicherheit nach subtrochantärer Femurfraktur im Februar 2013 sowie Schmerzen bei degenerativen Veränderungen im Wirbelsäulenbereich und Adipositas vor. Die Klägerin benötige Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (fünf Minuten pro Tag), beim Duschen (vier Minuten pro Tag), beim An- und Entkleiden (sechs Minuten pro Tag) sowie beim Stehen (eine Minute pro Tag). Der Hilfebedarf für Hauswirtschaft betrage 60 Minuten pro Tag im Wochendurchschnitt. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei nicht im Sinne der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit eingeschränkt. Der ermittelte Hilfebedarf sei zum Teil als Sollpflege aufgenommen worden, da der Sohn die Grundpflege nicht täglich sondern nur bei Bedarf unterstütze.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 8. August 2013 unter Hinweis auf das Gutachten des MDK ab, weil ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag nicht vorliege. Mit weiterem Bescheid vom 8. August 2013 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für zusätzliche Betreuungsleistungen ab, weil erhebliche Einschränkungen der Alltagskompetenz der Klägerin nicht vorlägen.

Gegen den Bescheid vom 8. August 2013 “über die Absage für die Pflegestufe I„ erhob die Klägerin am 13. August 2013 Widerspruch. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die schlechte finanzielle Lage ihres Sohnes verwiesen. Außerdem legte die Klägerin ein Pflegetagebuch vor, nach dem etwa beim Waschen (tagsüber und nachts) täglich ein Pflegebedarf von 90 Minuten bestehe.

In einem Gutachten vom 11. September 2013 nach Aktenlage kam die Pflegefachkraft D. vom MDK zu dem Ergebnis, dass ein täglicher Grundpflegehilfebedarf von 16 Minuten bestehe.

Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2013 zurück. Der für die Klägerin benötigte Pflegeaufwand erreiche nicht den geforderten Mindestzeitaufwand von mehr als 45 Minuten täglich für die Grundpflege. Die Klägerin sei damit nicht pflegeb...

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