Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108. bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. arbeitsmedizinische Voraussetzung. haftungsbegründende Kausalität. Konsensempfehlungen. Zusatzkriterium der Befundkonstellation B2: Betroffensein mehrerer bzw wenigstens dreier Bandscheiben. Zusatzkriterium der Befundkonstellation B3: individuelle Umstände nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. hinreichende Wahrscheinlichkeit. Kommissionierer
Leitsatz (amtlich)
1. "Mehrere Bandscheiben“ im Sinne des ersten Zusatzkriteriums der Konstellation B2 setzt voraus, dass wenigstens drei Bandscheiben betroffen sind.
2. Um festzustellen, ob bei der Erfüllung der Voraussetzungen der Befundkonstellation B3 eine Berufskrankheit vorliegt, bedarf es einer konkreten Einzelfallbeurteilung des Ursachenzusammenhangs (Anschluss an BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7).
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule eines Kommissionierers mit einer Gesamtbelastungsdosis von 23,4 MNh als Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2108 mangels Vorliegens der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm
vom 02.02.2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV streitig.
Der im Jahr 1966 geborene Kläger war vom 28.05.1990 bis zum 02.02.2012 als Kommissionierer berufstätig. Er war ab 03.02.2012 arbeitsunfähig erkrankt, bezog ab 17.03.2012 Krankengeld sowie ab 02.08.2013 Arbeitslosengeld und bezieht seit 01.01.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Im Rahmen eines auf die Feststellung eines Ereignisses vom 03.02.2012 als Arbeitsunfall gerichteten und unter dem Aktenzeichen S 10 U 152/13 geführten Klageverfahrens holte das Sozialgericht (SG) Ulm die Gutachten des F vom 27.06.2013 und des K vom 05.11.2013 ein. F diagnostizierte ein chronisch rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung, links mehr als rechts. K diagnostizierte ein chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule im Rahmen eines generalisierten chronischen Schmerzsyndroms im Chronifizierungsgrad II nach Gerbershagen mit wechselnder pseudoradikulärer aber auch radikulärer Komponente links betont, deutlicher antalgisch bedingter Beweglichkeitseinschränkung und röntgenologisch beziehungsweise kernspintomographisch nachgewiesenen eher leichtgradigen degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und kernspintomographisch nachgewiesenem subligamentärem Bandscheibenvorfall ohne Nachweis einer Sequestrierung L5/S1, rechts exzentrischer Protrusion L4/L5 mit rechts rezessaler Irritation der L5-Nervenwurzel und kernspintomographisch nachgewiesener aktivierter osteochondraler Begleitreaktion L4-S1.
Bereits am 16.08.2013 zeigte K1 unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen den Verdacht auf eine Berufskrankheit an. Unter dem 16.09.2013 machte der Kläger Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit und dem Verlauf seiner Erkrankung.
Der Präventionsdienst der Beklagten gelangte in seiner Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 21.11.2013 zu dem Ergebnis, für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers berechne sich eine Gesamtdosis von 23,4 MNh, so dass der hälftige Orientierungswert von 12,5 MNh für Männer überschritten sei. Eine besonders intensive Belastung im Sinne des Erreichens des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren liege nicht vor, da die Jahresdosis 814,7 kNh im Jahr 1990 und 1.364,0 kNh jährlich in den Jahren 1991 bis 1997 betragen habe. Ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des Erreichens der Hälfte des Tagesdosis-Richtwertes bei Männern ab 6 kN liege nicht vor. Die Tagesdosis habe 8,2 x 10³ Nh vom 28.05.1990 bis zum 31.12.1997, 3,3 x 10³ Nh vom 01.01.1998 bis zum 30.06.2007, 3,3 x 10³ Nh vom 01.07.2007 bis zum 30.06.2011 und 4,3 x 10³ Nh vom 01.07.2011 bis zum 03.02.2012 betragen.
Im weiteren Verlauf zog die Beklagte die im Rahmen des auf die Feststellung eines Ereignisses vom 03.02.2012 als Arbeitsunfall gerichteten Verfahrens angefallenen ärztlichen Unterlagen bei. Sodann holte die Beklagte das Gutachten des H vom 21.05.2014 ein. Der Gutachter führte aus, es handele sich um eine multi-etagere altersphysiologische Chondrose im Zervikal-, Thorakal- und Lumbalbereich. Diese altersphysiologischen Veränderungen könnten nicht als Berufskrankheit angesehen werden. In seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 03.11.2014 führte H aus, es liege keine bandscheibenbedingte Erkrankung als Berufskrankheit vor. Vielmehr handele es sich um eine schwere somatoforme Schmerzstörung mit ausgeprägten Depressionen und eine multi-etagere Verschmälerung der Bandscheibenräume im gesamten Wirbelsäulenbereich, die als altersphysiol...