Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. Architektin. Tätigkeit als Immobiliengutachterin
Leitsatz (amtlich)
Eine Architektin, die bei einer Sparkasse als Wertgutachterin für Immobilien abhängig beschäftigt ist, hat einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn sie als Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Architektenkammer ist.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.06.2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie der Beigeladenen zu 1). Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1975 geborene Klägerin ist Architektin und seit 2003 gesetzliches Pflichtmitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg sowie Pflichtmitglied des Versorgungswerks der Architektenkammer Baden-Württemberg (Beigeladene zu 1).
Am 30.04.2013 beantragte die Klägerin die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für ihre Tätigkeit als Architektin bei der S. S.-B. (Beigeladene zu 2) ab 01.06.2013. Hierzu legte sie den Arbeitsvertrag vom 04.04.2013 vor, wonach sie ab 01.06.2013 als vollbeschäftigte Arbeitnehmerin eingestellt wird mit einer Vergütung nach Entgeltgruppe 10/Stufe 6 TVöD, ferner eine Bestätigung ihrer Arbeitgeberin, dass sie als Gutachterin beschäftigt sei sowie die zugrundeliegende Stellenausschreibung als Immobiliengutachter (m/w). Als Aufgabenschwerpunkte waren hierin genannt: Erstellung von Gutachten im wohnwirtschaftlichen und gewerblichen Bereich, Beleihungswertermittlung nach Beleihungswertverordnung, Unterstützung bei der Planung und Durchführung von Umbau- und Neubaumaßnahmen. Als Profil war ua geforderte ein Abschluss als Dipl.-Ingenieur, Architekt oder Bautechniker.
Mit Bescheid vom 22.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil es sich bei der Tätigkeit als Immobiliengutachterin um keine berufsspezifische Tätigkeit als Architektin handele. Eine Befreiung könne nur für die Beschäftigung erfolgen, wegen der der Versicherte aufgrund Gesetzes Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe und Mitglied einer berufsständischen Kammer sei. Es müsse also ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt werde, und dem Versicherungsschutz durch die berufsständische Versorgungseinrichtung bestehen. Ein solcher innerer Zusammenhang werde durch das Merkmal “berufsspezifisch„ gewährleistet. Bei der von der Klägerin ausgeübten Beschäftigung handle es sich um keine berufsspezifische Tätigkeit, weil für diese Tätigkeit die Zulassung als Architektin keine unabdingbare Zugangsvoraussetzung sei. Die für eine Immobiliengutachterin erforderlichen fachlichen Kenntnisse könnten durch diverse Ausbildungen und Berufserfahrung erworben werden. Wenn der Arbeitgeber sich dafür entscheide, die Stelle mit einer Architektin zu besetzen, sei dies eine rein betriebswirtschaftliche Entscheidung.
Die Klägerin legte am 03.11.2013 Widerspruch ein und legte ein Schreiben der Architektenkammer Baden-Württemberg vor, wonach sie als Architektin in die Architektenliste eingetragen sei. Nach dem Architektengesetz für Baden-Württemberg (ArchG) gehöre zu den Berufsaufgaben von Architekten ua die Erstattung von Fachgutachten, wie Gutachten für Schäden an Gebäuden, Wertermittlungen und zur Beurteilung von Architektenhonoraren. Die Klägerin habe Wertermittlungsgutachten zu erstellen. Dieser Bereich gehöre zu den Kernaufgaben der Architektentätigkeit. Unerheblich sei, dass nach der Ausschreibung auch ein Abschluss als Dipl.-Ing. oder Bautechniker möglich sei. Dies sei so zu verstehen, dass der Arbeitgeber für den Fall, dass sich keine Architekten bewerben, auch andere Berufe hätte einstellen können. Dies sei aber mit einer Veränderung des Leistungsbildes verbunden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Ausübung der zu befreienden Beschäftigung müsse eine Ausbildung als Architekt zwingend erforderlich sein und ein enger sachlicher Zusammenhang zum klassischen Berufsfeld bestehen. Für die Beurteilung, ob die Tätigkeit eine Vorbildung als Architekt voraussetze, könnten sämtliche Unterlagen herangezogen werden, die Aufschluss über die Tätigkeit gäben, wie Arbeitsvertrag oder Stellenausschreibung. Für die Tätigkeit als Immobiliengutachterin sei das Studium der Architektur sicher von Vorteil, jedoch nicht zwingend erforderlich. Der am 21.02.2014 abgesandte Widerspruchsbescheid gelangte am 17.03.2014 zurück an die Beklagte mit einer Vermerk “nicht abgeholt„. Erneut abgesandt wurde der Widerspruchsbescheid als Einschreiben mit Rückschein am 20.03.2014.
Am 22.04.2014 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erh...