Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewaltopferentschädigung. Tatbestandsmerkmal: tätlicher Angriff. längerfristiger Gesamtprozess. Mobbing. psychische Erkrankung
Orientierungssatz
1. Zum Nichtvorliegen eines Entschädigungsanspruchs gem § 1 Abs 1 S 1 OEG wegen einer psychischen Erkrankung nebst ihren körperlichen Ausgestaltungen eines Abteilungskommandanten der Freiwilligen Feuerwehr mangels Vorliegens eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes (hier: Fußtritt, Beleidigungen und Provokationen seitens der anderen Feuerwehr-Mitglieder über einen längeren Zeitraum hinweg).
2. Eine Kette von Ereignissen, die unter dem Begriff des Mobbing zusammengefaßt wird, also ein längerfristiger Gesamtprozeß mit überwiegend vielen kleinen "tausend Nadelstichen", entspricht nicht dem Begriff des tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 OEG. Das deutsche Recht knüpft hier wie auch sonst traditionell an Einzelhandlungen an (vgl Aufsatz von Dirk Heinz, "Mobbing" - ein opferentschädigungsrechtlich relevantes Phänomen, in ZfS 2000, 65).
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob insbesondere eine beim Kläger diagnostizierte psychische Erkrankung auf Geschehnisse, die sich während seiner Zugehörigkeit zur Freiwilligen Feuerwehr H/Abteilung R (FFW) und danach ereignet haben, zurückzuführen und ihm deshalb Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu gewähren ist.
Der 1958 geborene Kläger gehörte seit 1976 der FFW an. Im Jahr 1980 wurde er zum Abteilungskommandanten gewählt und im Jahre 1985 wieder gewählt. Ab Ende 1985 kam es in der Abteilung zu starken Spannungen zwischen einzelnen Mitgliedern der FFW. In diese Auseinandersetzungen wurde der Kläger mit hereingezogen, wobei ihn insbesondere die Feuerwehrmänner W und W (Zugführer) -- beleidigend -- angriffen. Im Sommer 1987 versetzte ihm der Feuerwehrmann E von hinten einen kräftigen Fußtritt. Der E vom Kläger im Dezember 1990 gestellte Strafantrag wegen Beleidigung wurde durch Verfügung der Staatsanwaltschaft W-T vom 25.01.1991 eingestellt. Auf die Beschwerde des Klägers, mit der er seinen Strafantrag auf den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung und Nötigung erweiterte, wurde am 17.07.1992 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozeßordnung eingestellt. Ende 1987 war der Kläger aus der FFW ausgetreten.
Am 01.04.1992 stellte der Kläger beim Versorgungsamt F (VA) einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem OEG mit der Begründung, die Vorgänge in der FFW -- Gesäßtritt, (schwerste) Beleidigungen und Provokationen -- hätten bei ihm zu einem psychischen Leiden geführt. Hierzu legte er zahlreiche (ärztliche) Unterlagen vor, insbesondere ein "Protokoll über die Vorgänge, die das Austreten des Herrn L M aus der Freiwilligen Feuerwehr H betreffen und die Aussprache darüber im Bürgermeisteramt R am 31.05.1990". Das VA zog die Akten der Staatsanwaltschaft W-T bei und lehnte sodann mit Bescheid vom 31.08.1992 den Antrag des Klägers ab mit der Begründung, es sei medizinisch völlig ausgeschlossen, daß ein Fußtritt in das Gesäß, selbst wenn man ihn als tätliche Beleidigung qualifiziere, als kausal für psychische Störungen anzusehen sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamtes Baden-Württemberg vom 09.02.1993), nachdem Dr. R in der versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme vom 05.02.1993 ausgeführt hatte, Hinweise, daß die dokumentierten psychopathologisch relevanten Varia nach der Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung auf das angegebene Ereignis (Fußtritt) zurückgeführt werden könnten, ergäben sich aus fachärztlicher oder versorgungsmedizinischer Sicht aufgrund des Akteninhalts nicht.
Hiergegen erhob der Kläger am 02.03.1993 unter Vorlage zahlreicher ärztlicher Unterlagen Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Hierzu legte der Beklagte die vä Stellungnahme von Dr. R vom 05.05.1993 vor, in der es hieß, die Unterlagen bestätigten die frühere Auffassung, daß der Kläger Verhaltensauffälligkeiten zeige, die die Grenzen des normal psychologisch noch Verstehbaren überstiegen. Wenn man die biographischen Daten berücksichtige, fände sich keinerlei Anhalt dafür, diese Verhaltensauffälligkeiten auf das vom Kläger angegebene Ereignis nach der Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung zurückzuführen.
Das SG zog aus dem Parallelverfahren des Klägers S 9 U 975/93, das von Dr. B, Nervenarzt in F, für den Badischen Gemeindeunfallversicherungsverband erstattete Gutachten vom 02.04.1993 bei und holte von den behandelnden Ärzten des Klägers Dr. K, Nervenarzt in R, Prof. Dr. K, Leiterin der Poliklinik der Psychiatrischen Universitätsklinik F, Dr. T, Nervenarzt in Sch, Dr. K, praktischer Arzt in R, Dr. V, Chefarzt der Weissenstein-Klinik St. B, Dr. B, Nervenarzt in W-T 1, und Dr. D, Nervenarzt in Bad S, die schriftlichen Auskünfte (teilweise mit zahlreichen ärztlichen Unterlagen) vom 19., 30. und 31.08., 09., 14. sowie 25.09.1993 ein....