Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. (ambulante) Behandlung des Prostatakarzinoms durch Irreversible Elektroporation (IRE). keine anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode. kein Systemversagen. keine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005
Leitsatz (amtlich)
Die (ambulante) Behandlung des Prostatakarzinoms durch Irreversible Elektroporation (IRE) ist vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen - auch unter Berücksichtigung der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs - nicht umfasst. Die Krankenkassen müssen ihren Mitgliedern die für die Beschaffung dieser Behandlung als privatärztliche Leistung entstehenden Kosten daher nicht erstatten.
Orientierungssatz
Zu Leitsatz vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11.12.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten einer ambulanten Prostatakrebsbehandlung (insbesondere) durch irreversible Elektroporation (IRE).
Der 1949 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Im Mai 2014 wurde bei ihm durch Stanzbiopsie ein lokal begrenztes Prostatakarzinom bei einem PSA-Wert von 12 ng/ml und einem Entdifferenzierungsgrad von 8 nach dem Gleason-Score diagnostiziert. Dr. Pf. (Oberarzt an der Urologischen Universitätsklinik M.) empfahl dem Kläger im Juni 2014 die operative Entfernung oder die Bestrahlung der Prostata; es liege ein High-Risk-Prostatakarzinom vor, bei dem nach der vorliegenden klinischen Konstellation eine offene radikale Prostatektomie ohne Nerverhalt angeraten sei (Schreiben vom 27.06.2014).
Am 04.07.2014 beantragte der Kläger die Gewährung bzw. die Übernahme der Kosten einer IRE-Behandlung der Prostata (bei Prof. Dr. St., Prostata-Center, O.). Damit könnten Nebenwirkungen einer Operation oder Strahlenbehandlung, wie Impotenz oder Harninkontinenz, vermieden werden. Der Kläger legte einen Kostenvoranschlag für die zu erwartenden Behandlungskosten vor. Darin sind Kosten für die IRE-Behandlung, ein multiparametrisches MRT und eine 3-D-Biospie der Prostata sowie Kosten eines Krankenhausaufenthaltstags mit Transport von insgesamt 19.043,29 € ausgewiesen.
Mit Bescheid vom 15.07.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Bei der IRE-Behandlung handele es sich um eine neue Behandlungsmethode. Diese gehöre nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen, da sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht anerkannt worden sei.
Am 04.08.2014 legte der Kläger Widerspruch ein. Die IRE-Behandlung stelle die derzeit schonendste Behandlung seiner Krebserkrankung dar.
Am 21.08.2014 führte Prof. Dr. St. - nach diagnostischen Voruntersuchungen - die IRE-Behandlung im Bereich der gesamten Prostatakapsel im Rahmen einer ambulanten privatärztlichen Behandlung durch.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK).
Im MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 30.09.2014 führte Dr. U. aus, beim Kläger liege ein beidseitiges Prostatakarzinom (Adenokarzinom) Gleason 6 bis 7 vor. Der PSA-Wert sei auf 12,3 ng/ml erhöht. Es bestehe ein Z.n. TUR-P (Transurethrale Resektion der Prostata). Die IRE-Behandlung sei ein sehr junges minimalinvasives, nicht-thermisches Gewebeablationsverfahren, das bei Patienten mit fortgeschrittenen, nicht resektierbaren Prostata- oder Pankreastumoren sowie Lebermetastasen eingesetzt werden könne. Bei dem Verfahren, das auch „Nanoknife“ genannt werde, würden Zellen gezielt durch starke, örtlich begrenzte elektrische Felder zerstört. Die IRE töte das Tumorgewebe mit kurzen, mehrere Tausend Volt starken elektrischen Impulsen ab. Bei der multiparametrischen MRT würden eine Diffusionswichtung, eine MR-Spektroskopie der Prostata und eine dynamische Kontrastmitteluntersuchung angefertigt zum Nachweis auch kleinerer Läsionen, so dass laut Literatur auch eine gezielte Biopsie möglich sein solle. Die dynamische Kontrastmitteluntersuchung werde durchgeführt zur besseren Unterscheidung zwischen benignen und malignen Lymphknoten. Hierbei werde oft ein superparamagnetisches Kontrastmittel mit Nanopartikeln (sog. USPIOs), z.B. das nicht zugelassene KM Sinerem, verwendet. Mittels der verfügbaren MR-Techniken, insbesondere der Diffusionswichtung mit Fusionierung der ADC-Werte auf die T2-gewichteten Aufnahmen sowie der Anfertigung einer MR-Spektroskopie sollten unterschiedlich aggressive Tumorareale in der Prostata identifiziert und differenziert werden. Dadurch könnte eine evtl. notwendige Radiatio der Prostata optimiert werden oder eben eine genauere Biopsie. Der GBA habe die in Rede stehenden Methoden nicht beraten. Ein Beratungsantrag liege nicht vor. Die Methoden seien daher in der vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen. Beim Kläger liege eine schwere, zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht lebensbedrohliche Erkrankung vor. Zu deren Behandlu...