Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Erforderlichkeit der ärztlichen Dokumentation einer unüblichen Impfreaktion. Impfgranulom ohne Krankheitswert. übliche Nebenwirkung. keine gesundheitliche Schädigung
Leitsatz (amtlich)
Die Anerkennung eines Impfschadens setzt voraus, dass eine Impfreaktion idR ärztlich dokumentiert wird, diese über eine bloße übliche Nebenwirkung des verwendeten Impfstoffes hinausgeht und es letztlich zu (irgend)einer Funktionsstörung kommt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. Dezember 2020 teilweise aufgehoben und die Klage vollumfänglich abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen - Infektionsschutzgesetz (IfSG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) umstritten.
Die Klägerin ist 1966 geboren und hat den Beruf der F erlernt. Nachdem sie diesen Beruf wegen eines Asthma bronchiale hat aufgeben müssen, ist sie seit 25 Jahren bei der Stadt W als R beschäftigt. Ihre 2011 verstorbene Mutter hat sie das letzte Jahr vor deren Tod gepflegt. Unmittelbar vor der Impfung trat im März 2015 ein plötzlicher Schwindel mit Kopfschmerzen und Sprachstörung auf, im Juni 2015 erlitt die Klägerin bei einem PKW-Unfall eine HWS-Distorsion sowie im August 2015 eine Beinvenenthrombose. Seit März 2016 besteht Arbeitsunfähigkeit. Sie ist verheiratet, ihr Mann, zwischenzeitlich trockener Alkoholiker, ist bei einer Werksfeuerwehr beschäftigt. Sie hat zwei volljährige Töchter, die zuletzt noch im Haushalt der Klägerin lebten. Das Eigenheim ist noch mit Schulden belastet, die finanziellen Verhältnisse der Familie sind beengt (Anamnese W1). Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt.
Nach dem vorgelegten Impfbuch ist die Klägerin 2008 gegen Tetanus und Diphtherie geimpft worden, dann ist erneut, hier streitgegenständlich, nach einem Sturz mit Wunde an der rechten Hand am 14. Dezember 2015 der Kombinationsimpfstoff „Boostrix“ gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis verabreicht worden.
Am 6. Juli 2016 beantragte sie bei dem Landratsamt B (LRA) die Entschädigung für einen eingetretenen Impfschaden und legte den Bericht der R-Kliniken vom 23. Mai 2016 vor. Danach bestünden als Reaktion auf eine Tetanusimpfung vor Monaten heftigste persistierende Schmerzsensationen im linken Oberarm nach distal ausstrahlend. Vom Lokalbefund her habe sich eine oberflächliche Verhärtung von 0,5 x 1 cm gezeigt. Die gesamte Oberarmregion sei extrem schmerzempfindlich, diffus druckschmerzhaft mit Ausstrahlung des Schmerzes bis nach distal, auch in den Ellenbogen hinein. Die Arteria axillaris, die Arteria brachialis und die Arteria radialis seien gut tastbar und zeigten keinerlei gestörte Durchblutung. Die Beschwerden seien eindeutig auf der Oberarmvorderseite vom Deltoideus ausstrahlend lokalisiert. Es sei eine Spondylarthrose beschrieben mit foraminaler Einengung in der Höhe C5/C6 und C6/C7, eine fachorthopädische Behandlung finde statt. In Anbetracht der Gesamtsituation sei der Gefäßstatus am linken Arm eher nicht Ursache der heftigsten persistierenden Beschwerden.
Im Formblattantrag gab sie - divergierend - an, dass am 14./20. Dezember 2015 eine Wiederauffrischungsimpfung Tetanus nach einer Schürfwunde am Knie erfolgt sei. Sie habe den Hausarzt darauf hingewiesen, dass es vor 10 Jahren zu einer heftigsten Impfreaktion gekommen sei. Bereits einen Tag nach der Impfung sei eine schmerzhafte Reaktion im Bereich der Impfstelle aufgetreten. Die Situation habe sich laufend verschlechtert, schließlich seien auch das linke Ellenbogengelenk und der linke Unterarm erfasst worden. Seit dem Impftag sei der linke Oberarm stark schmerzhaft geschwollen, gerötet, überwärmt und druckempfindlich gewesen. Diese Schmerzen strahlten in das Schulter- und Ellenbogengelenk aus. Hierdurch begründet seien eine Schonhaltung und diverse Verspannungen. Am 7. Juni 2016 sei in Höhe des proximalen Humerus eine Läsion im subkutanen Fettgewebe mit Hautanhangstumor festgestellt worden. Bis heute sei ein schmerzhaftes Impfgranulom vorhanden.
Das LRA zog die Vorerkrankungsverzeichnisse der Krankenkassen (AOK und der D BKK) bei.
Weiter erhob das LRA den Befundschein des M Dieser führte aus, dass die Klägerin am 14. Dezember 2015 mit Boostrix geimpft worden sei. Im Verlauf habe sich laut dieser ein schmerzhaftes Impfgranulom am linken Oberarm gebildet. Eine umfangreiche medizinische Diagnostik und vielfältige Facharztvorstellungen hätten sich angeschlossen. Das Granulom sei mittlerweile (über neun Monate später) rückläufig, aber noch schmerzhaft. Die Behandlung erfolge derzeit mittels Lymphdrainage...