Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Ausgleich nach § 85 SVG. Auslandseinsatz. posttraumatische Belastungsstörung. traumatisches Ereignis. kein eigenes Bedrohungserleben. schwere Alkoholkrankheit. Kausalität. Alkoholexzess keine Wehrdiensteigentümlichkeit. Konkurrenzursachen. Beziehungsprobleme. vorhandene Suchtanfälligkeit. Kompensation von Problemen mit Alkohol. sozialgerichtliches Verfahren. bestandskräftiger Teilabhilfebescheid. keine Bindung an das Vorliegen einer Schädigung bei Geltendmachung weiterer Schädigungsfolgen. Verböserungsverbot. Entschädigungsansprüche vor und nach Beendigung des Wehrdienstes als unterschiedliche Streitgegenstände. keine Einbeziehung eines späteren Grundrentenbescheids nach § 96 SGG
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach dem Zuständigkeitsübergang für die Grundrente auf die Bundeswehrverwaltung verbleibt es nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis dabei, dass der Ausgleich während des Wehrdienstverhältnisses und die anschließende Grundrente danach verschiedene Streitgegenstände darstellen wie unterschiedliche Leistungszeiträume betreffen, so dass sie weiterhin nicht in das gerichtliche Verfahren nach § 96 SGG einbezogen werden können.
2. Aus einer zu Unrecht anerkannten Schädigungsfolge können entsprechend dem Rechtsgedanken des § 48 Abs 3 SGB X keine weitergehenden Ansprüche hergeleitet werden (hier Alkoholerkrankung als Folge einer zu Unrecht anerkannten PTBS).
3. Zur Anerkennung einer PTBS reicht es für das sog A-Kriterium nicht aus, dass dem Betroffenen von einem lebensbedrohlichen Ereignis lediglich berichtet wird (hier Selbstmordattentate/Landminen mit Toten auf Einsatzfahrzeuge in Afghanistan).
Orientierungssatz
1. Grundsätzlich beruht ein Alkoholexzess nicht auf dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen, es sei denn, besondere Umstände, wie besonders schwere Einsätze, kommen hinzu.
2. Die durch einen bestandskräftigen Teilabhilfebescheid erfolgte Feststellung von Schädigungsfolgen (hier einer PTBS) bindet die Bundeswehrverwaltung und die Gerichte im Hinblick auf die tatbestandliche Voraussetzung einer Wehrdienstbeschädigung lediglich bei der Beurteilung ebendieser Schädigungsfolgen, nicht aber bei der Prüfung weiterer Schädigungsfolgen (so auch LSG Essen vom 18.9.2020 - L 13 VG 64/15 - unter Hinweis auf BSG vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R = SozR 4-3200 § 81 Nr 6).
3. Im Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) ist der Grundsatz der reformatio in peius verankert (Verböserungsverbot), wonach eine Verwaltungsentscheidung, die Rechtsmittelführenden gegenüber ergangenen ist, auch im Berufungsverfahren nicht zu deren Ungunsten abgeändert werden darf (vgl BSG vom 29.2.1956 - 10 RV 75/55 = BSGE 2, 225).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 8. Dezember 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer weiteren Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und die Höhe des nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für die Zeit des Wehrdienstverhältnisses zu gewährenden Ausgleichs umstritten.
Der Kläger ist 1971 als Einzelkind geboren, beide Eltern waren Alkoholiker, seine Mutter ab dem dreißigsten Lebensjahr trocken. Seinen ersten Vollrausch hatte der Kläger mit 16 Jahren, auch danach konsumierte er regelmäßig Alkohol. Er schloss nach der Grund- und Hauptschule eine Lehre zum Siebdrucker ab. Danach arbeitete er ein weiteres Jahr im Ausbildungsbetrieb und kehrte nach dem einjährigen Grundwehrdienst in den Ausbildungsbetrieb zurück. Seit 1993 war er nach dreimonatiger Arbeitslosigkeit als Berufssoldat bei der Bundeswehr tätig, zuletzt bis 30. Juni 2018 als Hauptfeldwebel im Bereich Datenverarbeitung. Vom 11. Januar bis 8. Juli 2003 und dann wieder vom 5. März bis 10. Juli 2004 war er im Auslandseinsatz in A, wobei jeweils die Auslandsverwendbarkeit bestätigt wurde. 2003 sind drei Kameraden, einer durch eine Landmine, die anderen bei einem Selbstmordattentat umgekommen, im März 2003 gab es Raketenangriffe auf das Camphouse, er selbst befand sich im Bunker, im Juli 2003 sind Jugendliche mit einer Mörsergranate auf ihn zugekommen, die sie aber ohne Explosion auf seine Ansprache wegwarfen.
Anschließend wurde er bis Ende 2005 für den Einsatz in der Nato-Eingreiftruppe mit Übungen in verschiedenen Ländern ausgebildet. Seit 2006 kam es wegen einer Nierenkarzinombehandlung (Verdacht auf Rezidiv 2009 und 2010) und mehreren stationären Behandlungen wegen einer Alkoholabhängigkeit zu Arbeitsunfähigkeitszeiten.
Der Kläger war zweimal verheiratet, die erste Ehe dauerte von 1998 bis 2005 und die zweite von 2005 bis 2014, aus der letzten Ehe ist eine 2008 geborene Tochter hervorgegangen, die nicht bei ihm lebt. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 seit dem 25. Oktober 201...