Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten. Erziehung im Ausland. Niederlande. gewöhnlicher Aufenthalt. Grenzgänger. Eintritt der Beitragspflicht während Erziehung des Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Erziehung im Ausland steht einer Erziehung im Inland iS § 56 Abs 3 S 2 SGB 6 auch bei einem Grenzgänger gleich; die Einschränkung auf Entsandte in § 56 Abs 3 S 2 und 3 SGB 6 ist mit dem europäischen Freizügigkeitsrecht nicht zu vereinbaren (vgl EuGH vom 23.11.2000 - C-135/99 = SozR 3-2600 § 56 Nr 14.
2. Pflichtbeiträge iS des § 56 Abs 3 SGB 6 "während der Erziehung im Ausland" führen nicht nur für die Dauer der entsprechenden Beschäftigung, sondern auch für die Zeit nach Aufgabe dieser Beschäftigung zu einer Kindererziehungszeit bzw. Berücksichtigungszeit nach § 57 SGB 6. Dies gilt erst recht, wenn die Pflichtbeiträge während der Erziehung im Inland geleistet wurden und die Erziehung nach Ende der Beschäftigung und Wohnsitzverlegung ins Ausland dort fortgesetzt wurde.
Orientierungssatz
Es wäre widersprüchlich, bei einem Pflichtbeitrag unmittelbar vor der Geburt des Kindes (sog Vorbeitrag) die gesamte Zeit der Kindererziehung anzurechnen, in den Fällen einer während der Kindererziehung eingetretenen Beitragspflicht aber nur die auf diese Zeit der Beitragspflicht entfallende Erziehungszeit. Denn der während der Zeit der Kindererziehung erstmals geleistete Beitrag stellt sich in der Folgezeit als "Vorbeitrag" dar. In beiden Fallvarianten kann die Aufgabe der versicherungspflichtigen Tätigkeit und damit die Weiterentrichtung von Pflichtbeiträgen durch die Kindererziehung verursacht sein, weshalb eine unterschiedliche Behandlung auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG Bedenken begegnen würde.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 18.04.2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.04.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2006 verurteilt, auch die Zeit der Kindererziehung für die Zeit vom 31.10.1994 bis 31.10.1995 und vom 01.02.1996 bis 30.06.2000 als Berücksichtigungszeit vorzumerken.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Die am … 1958 geborene Klägerin war bis Juli 1982 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war sie bis Juli 1989 arbeitslos bzw. in Ausbildung. Im September 1989 heiratete sie ihren Ehemann, der in Deutschland als Arzt in Krankenhäusern abhängig und damit im Grunde versicherungspflichtig beschäftigt, allerdings von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung seit Mai 1982 befreit ist und seit dieser Befreiung als Pflichtmitglied des Versorgungswerkes der Ärztekammer B. Beiträge zur Altersvorsorge entrichtet. Sie gebar am 31.03.1990 ihren Sohn L. und am 31.08.1991 ihre Tochter N., die sie in der Folgezeit auch erzog. Von Oktober 1993 bis September 1994 war die Klägerin wegen eines in Deutschland abgeleisteten Praktikums im Rahmen ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin erneut rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Ende September 1994 verzog die Familie wegen der besseren Wohnsituation in die N. und wohnte und lebte dort nur wenige Kilometer vom Beschäftigungsort des Ehemannes entfernt bis zur Rückkehr nach Deutschland im Juli 2000. L. besuchte 1995 und 1996 die Vorschule in den N., N. ab 1996 den Kindergarten in Deutschland. Beide Kinder gingen auch während des Aufenthalts in den N. in Deutschland zur Schule und die Klägerin übte in Deutschland in der Zeit von November 1995 bis Januar 1996 eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit (Schwangerschaftsvertretung) aus. Seit Januar 2006 ist sie geringfügig versicherungsfrei beschäftigt. Die Klägerin und ihr Ehemann besaßen und besitzen ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit und waren nie im Ausland, sondern ausschließlich in Deutschland beschäftigt.
Auf den entsprechenden Kontenklärungsantrag der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14.04.2005 die im beigefügten Versicherungsverlauf aufgeführten Zeiten bis 31.12.1998 als verbindlich fest, u.a. Anrechnungszeittatbestände bis Juli 1989, Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung bis Juli 1982, von Oktober 1993 bis September 1994 und November 1995 bis Januar 1996, Pflichtbeiträge für Kindererziehung von April 1990 bis März 1991 und von September 1991 bis August 1992 sowie Berücksichtigungszeiten für März 1990 bis September 1994, November 1995 bis Januar 1996 und - im Bescheid vom 14.04.2005 selbst ausdrücklich anerkannt - Juli 2000 bis August 2001. Hinsichtlich der anerkannten Zeiten im Einzelnen wird auf den von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheid vom 14.04.2005 sowie den diesem Bescheid beigefügten und von der Klägerin ebenfalls vorgelegten Versicherungsv...