Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung. Ruhensanordnung wegen Beitragsrückständen in der GKV. Wohnsitz im EU-Ausland. Rentenbezug. Versicherungspflicht für Personen ohne Absicherung im Krankheitsfall. Prüfung der Hilfebedürftigkeit

 

Orientierungssatz

1. Gemäß der Kollisionsvorschrift des Art 24 VO (EG) 883/2004 ist der Wohnsitzstaat primär kollisionsrechtlich für Ansprüche auf Krankenversicherungsleistungen zuständig und - wenn dieser keinen Anspruch auf Sachleistungen gewährt - an zweiter Stelle der rentengewährende Mitgliedstaat, wenn nach dem Recht dieses Staates ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit gegeben ist.

2. Im Falle der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ist anerkannt, dass die Verlegung eines Wohnsitzes z.B. nach Spanien nach deutschem Recht zur Beendigung der Mitgliedschaft (§ 3 Nr 2 SGB 4) führt, dies aber europarechtlich weiter Leistungsansprüche begründet und im Ergebnis auch ein Versicherungsverhältnis zur Krankenkasse des rentengewährenden Mitgliedstaates.

3. Bei Ausspruch einer Ruhensanordnung durch die Krankenkasse muss sie prüfen und feststellen, dass der betroffene Versicherte nicht hilfebedürftig ist oder dies mit der Ruhensanordnung oder in der Folgezeit wird. Als hilfebedürftig sind diejenigen zu sehen, die entweder leistungsberechtigt nach § 27 SGB 12 oder nach § 41 SGB 12 sind. Maßgebend für die Hilfebedürftigkeit sind die besonderen Verhältnisse im Aufenthaltsland.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juli 2018 geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage (S 210 KR 792/18) des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. September 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2018 wird angeordnet.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren bewilligt und Rechtsanwalt B, Berlin, beigeordnet.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Ausgangsverfahren zu 20 % und für das Beschwerdeverfahren zu 50 % zu erstatten.

 

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 10. Juli 2018 ist gemäß § 172, § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und teilweise begründet.

Das Sozialgericht hat den am 11. Juni 2018 gestellten und mit der Beschwerde noch weiterverfolgten Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,

1. die Ruhensanordnung für die Kranken- und Pflegeversicherung mit sofortiger Wirkung aufzuheben,

sowie

2. umgehend anzuordnen, dass die Antragsgegnerin das Verrechnungsersuchen gegen seine Rente bei der DRV Rheinland sofort zurücknimmt,

und

3. Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T B beizuordnen,

teilweise zu Recht (Antrag zu 2.), im Übrigen zu Unrecht abgelehnt (Anträge zu 1. und 3.).

Der Antragsteller hat Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung des Ruhens seiner Leistungsansprüche und damit auch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren.

II. 1. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse eines Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des streitigen Bescheides überwiegt. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid bei der Entscheidung über den Antrag als offensichtlich rechtswidrig erweist und dies mit einer subjektiven Rechtsverletzung des oder der Belasteten einhergeht, weil an der sofortigen Vollziehung eines mit der Rechtsordnung nicht im Einklang stehenden Bescheides kein öffentliches Interesse besteht. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs, wenn gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides offensichtlich keine Bedenken bestehen. In diesem Fall ist die aufschiebende Wirkung in aller Regel nicht anzuordnen. Erweisen sich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens dagegen als offen, ist bei der Interessenabwägung der gesetzgeberischen Wertung, die zum Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch § 16 Abs. 3a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. Satz 2 SGB V, § 16 Abs. 2 Satz 4 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) führt, grundsätzlich der Vorrang einzuräumen.

2. Das Begehren des Antragstellers, die Ruhensanordnung für die Kranken- und Pflegeversicherung vom 17. September 2015 aufzuheben, ist, verstanden nach § 123 SGG als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner vor dem Sozialgericht Berlin gegen den Bescheid erhobenen Klag...

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