Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. konkludente Tilgungsbestimmung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung der Vorbemerkung 3 Abs 4 S 1 VV RVG ist im Rahmen der Vergütung eines beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalts dahingehend zu verstehen, dass nur tatsächliche Zahlungen auf die Geschäftsgebühr bei der Anrechnung zu berücksichtigen sind.

2. Wie nach § 366 Abs 2 BGB geht eine Tilgungsbestimmung des Zahlenden der Regelung des § 58 Abs 2 RVG vor. Eine Tilgungsbestimmung kann auch konkludent erfolgen. Sie wird auch immer dann vorliegen, wenn eine Zahlung unter Bezugnahme auf einen Kostenfestsetzungsbeschluss erfolgt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2018 aufgehoben. Der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 29. Juni 2017 wird geändert. Die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung der Antragstellerin wird auf 937,13 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des gebührenfreien Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) als beigeordnete Rechtsanwältin eine höhere Rechtsanwaltsvergütung aus der Landeskasse

Der spätere Mandant der Antragstellerin, der laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezog, stellte bei dem Grundsicherungsträger einen Antrag auf Übernahme der Kosten einer Einzugsrenovierung, der mit einem Bescheid 19. November 2013 abgelehnt wurde. Daraufhin beauftragte der Mandant die Antragstellerin mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Den von ihr am 19. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch wies der Grundsicherungsträger mit einem Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2014 zurück. Hiergegen hat die Antragstellerin am 10. März 2014 für ihren Mandanten bei dem Sozialgericht Berlin mit einem vierseitigen Schriftsatz Klage erhoben (S 156 AS 6057/14). Dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Antragstellerin, der am 9. April 2014 mit der Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vervollständigt wurde, gab das Sozialgericht durch Beschluss vom 16. Juli 2015 mit Wirkung ab dem 9. April 2015 statt. Die Antragstellerin erhielt aus der Landeskasse einen Vergütungsvorschuss in Höhe von 380,80 EUR.

Im Erörterungstermin vom 21. Juli 2016, der von 10.51 Uhr bis 11.27 Uhr dauerte, beendeten die Beteiligten das Verfahren durch einen Vergleich, der unter anderem beinhaltete, dass der Grundsicherungsträger drei Viertel der Kosten des Vorverfahrens erstatten sollte. Die Antragstellerin, die keine Gebühren im Wege der Beratungshilfe erhalten hatte, machte für das Vorverfahren bei dem Grundsicherungsträger folgende Gebühren geltend:

Geschäftsgebühr

Nr. 2302 VV RVG

300,00 EUR

Post- und Telekommunikationspauschale

Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Abzug von einem Viertel

- 80,00 EUR

Zwischensumme

240,00 EUR

Umsatzsteuer

Nr. 7008 VV RVG

45,60 EUR

Gesamtsumme

285,60 EUR

Diese Rechnung wurde von dem Grundsicherungsträger mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 anerkannt und beglichen.

Am 27. April 2017 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht die folgende Vergütung für den Rechtsstreit S 156 AS 6057/14 begehrt:

Verfahrensgebühr

Nr. 3102 VV RVG

300,00 EUR

Anrechnung Geschäftsgebühr

Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG

- 75,00 EUR

Terminsgebühr

Nr. 3106 VV RVG

280,00 EUR

Einigungsgebühr

Nr. 1006 VV RVG

300,00 EUR

Post- und Telekommunikation

Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Zwischensumme

825,00 EUR

Umsatzsteuer

Nr. 7008 VV RVG

156,75 EUR

Gesamtsumme

981,75 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Vergütung mit einem Beschluss vom 29. Juni 2017 folgendermaßen festgesetzt:

Verfahrensgebühr

Nr. 3102 VV RVG

300,00 EUR

Anrechnung Geschäftsgebühr

Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG

- 150,00 EUR

Terminsgebühr

Nr. 3106 VV RVG

280,00 EUR

Einigungsgebühr

Nr. 1006 VV RVG

300,00 EUR

Post- und Telekommunikation

Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

Zwischensumme

750,00 EUR

Umsatzsteuer

Nr. 7008 VV RVG

142,50 EUR

Gesamtsumme

892,50 EUR

Zur Begründung hat die Urkundsbeamtin ausgeführt, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV RVG) in Höhe der Hälfte der tatsächlich entstandenen Geschäftsgebühr zu erfolgen habe.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 28. Juli 2017 Erinnerung eingelegt und vorgebracht, dass für die Anrechnung nur tatsächliche Zahlungen in Betracht kämen. Zudem dürfe die Geschäftsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nur in Höhe von 75,00 EUR angerechnet werden. Aus § 58 Abs. 2 RVG folge, dass die Zahlung, die der beigeordnete Rechtsanwalt auf die Geschäftsgebühr erhalten habe, nur insoweit auf seinen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse anzurechnen sei, als sie die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung für das konkrete Verfahren übersteige. Der Grund...

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