Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels zu Lasten der Krankenkasse
Orientierungssatz
1. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung durch die Krankenkasse nach § 31 SGB 5 ausgeschlossen. Eine ärztliche Verordnung ist immer Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Arzneimittelversorgung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
2. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB 5 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Alpha-Liponsäure ist weder in der OTC-Liste aufgeführt, noch hätte eine Aufnahme erfolgen müssen, vgl. BSG, Urteil vom 06. November 2008 - B 1 KR 6/08 R.
3. Eine Kostenerstattungspflicht der Krankenkasse bei Verschreibung des Medikaments zur Behandlung einer diabetischen Polyneuropathie ergibt sich nicht aus Art. 2 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip bzw. aus § 2 Abs. 1 a SGB 5. Diese Krankheit ist keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung; zudem gibt es ausreichend Behandlungsalternativen.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht, ob die Beklagte die Klägerin mit nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Alpha-Liponsäure versorgen muss.
Die 1969 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an Diabetes Mellitus Typ I. Folgeleiden der Erkrankung ist u. a. eine diabetische Polyneuropathie.
Der sie behandelnde Diabetologe Dr. L beantragte mit Schreiben vom 27. Juli 2007 bei der Beklagte die Kostenübernahme für Alpha-Liponsäure als Infusion und Tabletten. Die Klägerin leide u. a. an Neuropathie mit schweren Symptomen. Nur unter Gabe von Magnesium und Liponsäure sei diese erträglich. Alle von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlten Therapiealternativen seien ausprobiert und von der Klägerin nachweislich nicht vertragen worden.
Nach Einholung einer Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2007 eine Kostenübernahme ab.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie habe alle Medikamente gegen Polyneuropathie ausprobiert. Statt Hilfe hätten diese Allergien und Haarausfall sowie starke Magenbeschwerden zur Folge gehabt. Es sei ihr “Scheiß egal„, ob Alpha-Liponsäure umstritten sei. Ihr helfe sie.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2007 zurück. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (vom 14. November 2003, BGBl I 2120, GMG) zum 1. Januar 2004 seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Versorgung mit zugelassenen verkehrsfähigen Arzneimitteln im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen. Alpha-Liponsäure sei nicht verschreibungspflichtig. Das Medikament sei auch nicht in die Ausnahmeliste, der Over-the-Counter = OTC-Liste der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie, AM-RL), aufgenommen.
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. In ihrem Falle sei Alpha-Liponsäure ausnahmsweise verschreibbar nach Ziffern 16.2 AM-RL (alte Fassung; jetzt: § 12 Abs. 8 AM-RL). Sie hat sich auf die Stellungnahmen ihres behandelnden Diabetologen Dr. L vom 19. Januar 2009 und vom 20. August 2009 berufen, auf die ergänzend verwiesen wird (GA Blatt 62ff, 78ff). Die Behandlung mit anderen, verschreibungspflichtigen Medikamente führe bei ihr zu schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Haarausfall sowie Benommenheit.
Die Beklagte hat ausführliche gutachterliche Stellungnahmen des MDK eingereicht (vom 10. September 2009 sowie vom 6. Oktober 2009, auf die ebenfalls ergänzend verwiesen wird.
Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte unter Abänderung des streitgegenständlichen Bescheides zur verurteilen, die für die medizinische Behandlung der Klägerin mit dem Arzneimittel Alpha-Liponsäure durch parenterale Infusion über zwei bis drei Wochen und anschließender oraler Dauertherapie entstehenden zukünftigen Kosten zu tragen.
Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 22. April 2010 abgewiesen. Durch die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei bereits geklärt, dass der grundsätzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auf Sachgründen beruhe und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Es sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber den gemeinsamen Bundesausschuss beauftragte habe, in der AM-RL die Ausnahmen zu regeln. Alp...