Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblicher Insolvenzzeitpunkt. Merkmale des Insolvenzereignisses. Bindungswirkung arbeitsgerichtlicher Urteile. Beweisregeln im sozialgerichtlichen Verfahren
Orientierungssatz
1. Liegt ein Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs 1 S 1 Nr 2 und 3 SGB III (juris: SGB 3) (Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland) nicht vor, ist maßgeblicher Insolvenzzeitpunkt im Sinne des § 183 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB III (juris. SGB 3) der Tag, an dem das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet.
2. Das Insolvenzereignis nach § 183 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB III (juris: SGB 3) beinhaltet als Auffangtatbestand drei Merkmale, die kumulativ vorliegen müssen: die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im Inland, das Fehlen eines Eröffnungsantrages und den Umstand, dass ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt.
3. Durch diese Regelung soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer gezwungen werden, aussichtslose Anträge zu stellen und Vorschüsse zu leisten - jedenfalls dann, wenn die insolvenzrechtlich relevante Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers offensichtlich ist (so: LSG Berlin-Potsdam, 2005-12-08, L 28 AL 75/04).
4. Umfang der Bindungswirkung eines arbeitsgerichtlichen Urteils in sozialgerichtlichen Streitigkeiten über Insolvenzgeld.
5. Im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit ist die Frage, welcher Beteiligte die Folgen der Nichterweislichkeit einer rechtserheblichen Tatsache zu tragen hat, nur aus dem anzuwendenden materiellen Rechtssatz zu beantworten, und zwar mit der Folge, dass die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der daraus ihm günstige Rechtsfolgen herleitet.
6. Auf aus einem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts abzuleitenden Rechte kann der Arbeitnehmer nicht wirksam verzichten. Er hat mit der Erhebung und Verfolgung einer Kündigungsschutz- und Lohnzahlungsklage gegen den Arbeitgeber unter Abwägung der Erfolgsaussichten und der zu erwartenden Nachteile die höchstpersönliche Entscheidung getroffen, mit gerichtlicher Hilfe seine Ansprüche gegen seine ehemaligen Arbeitgeber durchzusetzen. An dieser Entscheidung muss er sich auch dann festhalten lassen, wenn sie sich trotz eines zunächst vermeintlichen positiven Ergebnisses letztlich für ihn nachteilig erweist, dh er kann sich hiervon nicht zum Nachteil der Versichertengemeinschaft wieder lossagen (LSG Berlin-Potsdam, 2009-07-08, L 29 AL 275/08).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. April 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. September 2005 bis 19. November 2005 anstelle des gewährten Insg für die Zeit vom 1. November 2005 bis 31. Januar 2006.
Der 1964 geborene Kläger war ausweislich des Arbeitsvertrages vom 1. Juli 2004 befristet bis zum 31. März 2005 als Platzmeister und Lagerwart bei der S S GmbH B versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde am 31. März 2005 über den 31. März 2005 hinaus verlängert und bis zum 31. Januar 2006 befristet. Arbeitsvertraglich war ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.800,- € vereinbart, was im September 2005 zu einem Nettoarbeitsentgelt von 1.390,94 € führte. Am 15. Dezember 2005 stellte die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) B bei dem Amtsgericht (AG) C ( - -) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S GmbH. Mit Beschluss vom 10. Januar 2006 bestellte das AG C den Rechtsanwalt K, B, zum vorläufigen Insolvenzverwalter und bestimmte u.a., dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Mit Beschluss vom 10. Mai 2006 eröffnete das AG C das Insolvenzverfahren.
Bereits mit Schreiben vom 9. November 2005 kündigte die S GmbH das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos zum 10. November 2005, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 19. November 2005 zu.
Am 30. November 2005 erhob der Kläger bei dem Arbeitsgericht (ArbG) Berlin ( - -) Kündigungsschutzklage gegen die S GmbH. Mit Versäumnisurteil vom 10. Januar 2006 stellte das ArbG B fest, dass das Kündigungsschreiben der S GmbH vom 9. November 2005, zugegangen am 19. November 2005, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht wirksam beendet habe. Überdies verurteilte es die Beklagte zur Zahlung von 3.600,- € brutto nebst Zinsen an den Kläger. Dabei handelte es sich um rückständiges Arbeitsentgelt für die Monate September und Oktober 2005. Gegen dieses Versäumnisurteil legte die S GmbH keinen Einspruch ein.
Auf den Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Dezember 2005 ab dem 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld (Alg) für die Dauer von 231 Kalendertagen in Höhe eines täglic...