Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beschwerde. Statthaftigkeit. Gesetzesänderung. intertemporales Prozessrecht. Übergangsregelung. Vertrauensschutz. Kostengrundentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, erfährt aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Ausnahme dahingehend, dass bereits rechtshängige Rechtsmittel statthaft bleiben, auch wenn das Rechtsmittel nachträglich beschränkt wird. Einen gleich hoch zu bewertenden Vertrauensschutz muss auch derjenige genießen, der zwar noch rechtzeitig unter Geltung des alten Rechts das Rechtsmittel hätte einlegen können, die erstinstanzliche Entscheidung jedoch eine veraltete Rechtsmittelbelehrung enthalten hat.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2008 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig.
Zwar ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), der ohne Übergangsregelung nach Art. 1 Nr. 29 b), Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I 444) eingeführt wurde, seit 1. April 2008 die Beschwerde gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG - wie hier - generell ausgeschlossen. Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst, erfährt aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes - Aspekte des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - jedenfalls in Fällen ohne ausdrückliche gegenteilige Regelung eine Aufnahme dahingehend, dass bereits rechtshängige Rechtsmittel statthaft bleiben, auch wenn das Rechtsmittel nachträglich beschränkt wird (vgl. Bundesverfassungsgericht BVerfG, B. v. 7.07.1992 -2 BvR 1631/90, 1728/90- BVerfGE 87, 48,63ff). Einen gleich hoch zu bewertenden Vertrauensschutz muss auch derjenige genießen, der - wie hier - zwar noch rechtzeitig unter Geltung des alten Rechts bis 31. März 2008 das Rechtsmittel der Beschwerde noch hätte einlegen können, der Beschluss jedoch die (im nachhinein) unrichtige Rechtsmittelbelehrung enthalten hat, die Beschwerde sei binnen eines Monats zulässig (hier konkret bis 12. April 2008) (a. A. LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 28.4.2008 -L 15 B 94/08 SO unter Hinweis auf die Erkennbarkeit des Gesetzesnovelle jedoch ohne Problematisierung der Folgen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung).
Die Beschwerde hat auch in der Sache auch Erfolg.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung nach § 193 Abs. 1 SGG erfolgt unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen.
Primär sind für die Ermessensentscheidung die Erfolgschancen des Antrages bis zum erledigenden Ereignis maßgeblich. Diese sind hier hoch gewesen, wie die Klaglosstellung durch den Antragsgegner zeigt. Nur ausnahmsweise entspricht es nicht billigem Ermessen, bei einer Klaglosstellung die Kosten dem Beklagten bzw. Antragsgegner aufzuerlegen. Eine Ausnahme liegt vor, wenn dieser bis zum erledigenden Ereignis keinen Anlass zum gerichtlichen Verfahren gegeben hat. Eine solche Situation hat hier nicht bestanden. Es war nach Aktenlage geboten, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Der Antragsgegner hat - ausweislich der Klaglosstellung rechtswidrig- den Antragstellern diesen zustehende Leistungen in nicht bloß marginalem Umfang - nämlich über 50 € pro Monat- verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Fundstellen