Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Europarechtskonformität
Leitsatz (amtlich)
Gegen den Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 bestehen keine europarechtlichen Bedenken, soweit Regelbedarfe betroffen sind.
Tenor
Die Beschwerden der Antragsteller gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz und auf Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2011 werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
Gründe
Die am 5. Dezember 2011 eingegangenen Beschwerden der Antragsteller gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz und auf Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2011 haben keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Sozialgericht das Begehren der Antragsteller abgelehnt, ihnen für die Zeit vom 3. November 2011 bis zum 31. Dezember 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe der Regelbedarfe zu gewähren. Die polnischen Antragsteller, eine alleinerziehende Mutter und ihre beiden minderjährigen Kinder, denen für ihre Unterkunft nach eigenen Angaben keine Kosten entstehen, haben weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]).
Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1, 20 Abs. 2, 77 Abs. 4 SGB II in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) scheitert bereits daran, dass die Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Als Unionsbürgerin darf sich die erwerbsfähige Antragstellerin zu 1) gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie über ein anderes Aufenthaltsrecht verfügt. Weder geht sie einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nach, noch nimmt sie an einer Berufausbildung teil (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FreizügG/EU). Ebenso wenig bestehen Hinweise darauf, dass sie als Empfängerin oder Erbringerin von Dienstleistungen aufenthaltsberechtigt ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 FreizügG/EU). Sie hat auch kein fortwirkendes Aufenthaltsrecht wegen einer früheren Erwerbstätigkeit (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU). Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben erst im April 2011 nach Deutschland gekommen, ohne dass die Antragstellerin zu 1) seither einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Wegen des erst kurzzeitigen Aufenthalts in Deutschland besteht auch kein Daueraufenthaltsrecht (§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU). Ist somit die Antragstellerin zu 1) von den Leistungen ausgeschlossen, so gilt das gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für ihre Kinder.
Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956, S. 564) unanwendbar (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). Abgesehen davon, dass dieses Abkommen von Polen nicht ratifiziert worden ist, findet § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II weiterhin Anwendung, nachdem die Bundesregierung gemäß Art. 16 Buchst. b) EFA mit Wirkung ab dem 19. Dezember 2011 einen entsprechenden Vorbehalt notifiziert hat(vgl. Bundesagentur für Arbeit, Geschäftsanweisung SGB II Nr. 8 vom 23. Februar 2012, www.arbeitsagentur.de).
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt auch nicht gegen das Recht der Europäischen Union. Vielmehr beruht er, soweit im vorliegenden Verfahren Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt werden (ebenso zu den Regelleistungen: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Juni 2009, L 34 AS 790/09 B ER; zum Arbeitslosengeld II: Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 15. November 2007, S 2 B 426/07) auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77, 112). Auf diese europarechtliche Bestimmung hat der Bundesgesetzgeber die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich gestützt (BT-Drucksache 16/688, S. 13). Nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG ...