Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Ausnahme bei mindestens fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Abstellen auf die polizeiliche Meldung

 

Orientierungssatz

Nach § 7 Abs 1 S 5 SGB II muss sich ein fünfjähriger Aufenthalt an die erstmalige Meldung bei der Meldebehörde anschließen, eine Abmeldung bewirkt, dass die Fünfjahresfrist nicht mehr läuft. Vielmehr müsste sich der Antragsteller erneut bei der zuständigen Meldebehörde anmelden, um die Dauer eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet zu erreichen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 9. April 2020 wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2020 insoweit aufgehoben, als der Antragsgegner zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 432 Euro monatlich in der Zeit vom 26. März bis längstens 31. Juli 2020 verpflichtet wurde und der Antragsgegner die Kosten zu tragen hat.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Klarstellend wird festgestellt, dass es bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Prozessbevollmächtigten verbleibt.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des aus dem Rubrum ersichtlichen Prozessbevollmächtigten bewilligt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde (§ 172 Sozialgerichtsgesetz - SGG) des Antragsgegners ist begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) von Leistungen ausgeschlossen. Er ist lettischer Staatsangehöriger, geboren am 8. Dezember 1972, nach seinen Angaben 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat hier nach seinen Angaben nie gearbeitet und kann sich daher allein auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche (§ 2 Freizügigkeitsgesetz/EU) berufen, welches zum Leistungsausschluss führt.

Das Sozialgericht Berlin hat im Beschluss vom 8. April 2020 verkannt, dass die Voraussetzungen der „Rückausnahme“ vom Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II nicht vorliegen. Danach erhalten Ausländer dann Leistungen, wenn sie seit mindestens 5 Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Die Frist beginnt mit der Meldung bei der zuständigen Meldebehörde.

Nach der vorliegenden Auskunft des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 19. März 2020 hat der Antragsteller sich erstmals am 21. März 2013 bei der Meldebehörde mit einer Wohnung in Berlin Marzahn-Hellersdorf gemeldet. Nach dieser Auskunft ist er aber am 3. Mai 2014 aus einer anderen Wohnung ebenfalls in Berlin Marzahn-Hellersdorf ausgezogen, es liegt eine Abmeldung nach unbekannt mit diesem Datum vor.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II muss sich ein fünfjähriger Aufenthalt aber an die erstmalige Meldung bei der Meldebehörde anschließen, eine Abmeldung bewirkt, dass die Fünfjahresfrist nicht mehr läuft. Vielmehr müsste sich der Antragsteller erneut bei der zuständigen Meldebehörde anmelden, um die Dauer eines fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet zu erreichen.

Nach Auffassung des Senats belegt schon der Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II, dass eine Meldung bei den zuständigen Behörden während der gesamten Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts vorliegen muss, wobei kürzere Unterbrechungen aus verschiedensten Gründen unschädlich sein könnten. Nur eine solche Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des Meldeerfordernisses. Nur durch eine solche polizeiliche Meldung bleibt es jedenfalls im Grundsatz überprüfbar, ob tatsächlich ein gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet vorliegt. Entfällt die Meldung wie im vorliegenden Fall, so wird der Aufenthalt des Leistungsberechtigten unbekannt, die Überprüfbarkeit im Sinne öffentlich-rechtlicher Meldevorschriften entfällt. Zutreffend hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass Ausländer mit der polizeilichen Meldung im Bundesgebiet ihre Verbindung zu Deutschland dokumentieren, die Voraussetzung eines verfestigten Aufenthalts ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 18/10211 vom 7. November 2016, B. zu Artikel 1 dort zu Nr. 2, Seite 14). Ist dem so, folgt daraus für den Senat aber zwingend, dass das Entfallen der Meldung das genaue Gegenteil dokumentiert.

Der erkennende Senat folgt nicht dem Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. April 2017 (L 15 SO 353/16 B ER, Rdnr. 44, zitiert nach juris), nach welchem es - neben dem 5-jährigen Aufenthalt - ausreichen soll, dass ein Ausländer sich überhaupt je einmal in der Bundesrepublik polizeilich gemeldet hat, sei es wie im vom 15. Senat entschiedenen Fall auch mit einer offensichtlich unzutreffenden Meldung für eine Wohnung, die der Ausländer nie bewohnt hat. Die Entscheidung des 15. Senats verkennt ins...

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