Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung im Wege der Genehmigungsfiktion. Zulässigkeit der Leistungsklage. Sachleistungsanspruch auf medizinisches Cannabis
Orientierungssatz
1. Nach § 54 Abs 5 SGG kann im Hauptsacheverfahren die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R = BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36. Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion nach § 13 Abs 3a S 7 SGB 5 erfolgt, so steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich.
2. Der Sachleistungsanspruch auf medizinisches Cannabis ist von § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 umfasst.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit steht die einstweilige Versorgung des Antragsstellers mit Medizinal-Cannabisblüten, auf welche dieser -nach seinen Angaben- zur Behandlung seiner schweren Migräne angewiesen ist.
Er beantragte dies mit Schreiben vom 21. März 2017, welches spätestens am 23. März 2017 bei der Beklagten einging. Beigefügt waren privatärztliche Erklärungen bzw. Berichte sowie die dem Antragsteller erteilte Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG). (Erst) mit Schreiben vom 19. April 2017 schaltete die Antragsgegnerin den MDK ein und teilte dem Antragsteller mit, es fehle noch die “Arztanfrage„ des (privatärztlichen) Behandlers des Antragsstellers Dr. G zur Vorlage beim MDK. Sie habe diesen bereits erinnert.
Nachdem der MDK in seiner Stellungnahme vom 8. Mai 2017 zum Ergebnis gelangt war, es gäbe anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende andere Behandlungsmöglichkeiten, lehnte die Antragstellerin den Antrag mit Bescheid vom 9. Mai 2017 mit dieser Begründung ab.
Am 18. Mai 2017 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin (SG) eine Anordnung auf Kostenübernahme beantragt, den die Antragsgegnerin (auch) als Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ansieht.
Das SG hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 23. Juni 2017 im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, vorläufig für die Zeit vom 17. Mai 2017 bis 31. Dezember 2017, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, die Kosten einer Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten “Cannabis Flos„ in maximaler Tagesdosis von 3,0 g bei einem Vierwochen-Bedarf von 90 g zu übernehmen.
Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, ein Anordnungsgrund liege vor: Der Anspruch folge aus § 13 Abs. 3a S. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die Genehmigung der beantragten Leistung werde fingiert, da die Antragsgegnerin die dreiwöchige Entscheidungs- bzw. Mitteilungspflicht nicht eingehalten habe. Sie habe es versäumt, unverzüglich den MDK um eine gutachterliche Stellungnahme zu bitten und den Antragsteller hierüber zu informieren. Das Mitteilungsschreiben vom 19. April 2017 sei nicht rechtzeitig nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V erfolgt.
Die begehrte Leistung liege auch nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versorgung mit Cannabis sei nach § 31 Abs. 6 SGB unter den dort aufgeführten Voraussetzungen vom Leistungsumfang erfasst. Das Leistungsbegehren sei so bestimmt gewesen, dass die Antragsstellerein eine rechtsverbindliche Entscheidung (Ja oder Nein) habe treffen können. Die Genehmigungsfiktion betreffe den beantragten Sachleistungsanspruch, der auch nicht an der fehlenden vertragsärztlichen Verordnung scheitere. Die Antragsgegnerin hätte auch hierüber in der Entscheidungsfrist prüfen und entscheiden können. Diese habe die fingierte Genehmigung auch nicht wieder aufgehoben.
Der Anordnungsgrund folge aus der Dringlichkeit der Behandlung der Erkrankung und den hohen Sachkosten.
Gegen diesen ihr am 29. Juni 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2017. Sie ist der Auffassung, die Fiktion könne nur greifen, wenn der Versicherte keine offensichtlich außerhalb des gesetzlichen Leistungskataloges liegende Leistung begehre. Dies sei hier der Fall, weil der hier für den Antragsteller handelnde Arzt entgegen den Anforderungen des § 31 Abs. 6 SGG V kein Vertragsarzt sei und es an einer vertragsärztlichen Betäubungsmittel-Verordnung fehle.
Sie beantragt der Sache nach,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2017 abzuändern und den Antrag insgesamt zurückzuweisen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Anspruchsvoraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V lägen in seinem Falle vor, so dass ihm die Leistung auch ohne die eingetretene Fiktion zustehe.
Die Antragsgegnerin selbst habe ihn an Dr. G ...