Entscheidungsstichwort (Thema)
Genehmigungsfiktion des Leistungsantrags eines Versicherten bei nicht fristgerechter Bescheidung durch die Krankenkasse
Orientierungssatz
1. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a S. 6 SGB 5 setzt den Antrag des Versicherten auf eine Leistung voraus, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt.
2. Nach § 31 SGB 5 zählt eine Versorgung mit Cannabis bei einem schweren chronischen Schmerzsyndrom zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
3. Die Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB 5 beginnt mit dem Folgetag der Antragstellung. Maßgeblich ist eine Frist von drei Wochen, wenn die Krankenkasse den Antragsteller nicht über die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme unterrichtet. Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (BSG Urteil vom 8. 3. 2016, B 1 KR 25/15 R).
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Juli 2017 wird abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab sofort bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 4. Januar 2018, bei Vorlage der Verordnung eines Vertragsarztes die Kosten einer Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorten Bedrocan oder Bedica in maximaler Tagesdosis von 3,0 g bei einem Vierwochen-Bedarf von 90 g zu übernehmen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, wenn andernfalls die Gefahr besteht, dass ein Recht des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Hier sind ein Anordnungsanspruch und ein -grund zu bejahen.
Zum Sachverhalt wird zunächst nach § 142 Abs. 2 S. 3 SGG auf den Beschluss des Sozialgerichts vom 20. Juli 2017 verwiesen.
Ein Anordnungsanspruch ist gegeben.
Dem Antragsteller steht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der geltend gemachte Sachleistungsanspruch zu, weil eine entsprechende Genehmigung fingiert wird.
Nach § 54 Abs. 5 SGG kann (im Hauptsacheverfahren) die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt (§ 77 SGG) vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (BSG, Urteil vom 11. Juli 2017 - B 1 KR 26/16 R - Rdnr. 8 mit weit. Nachw.). Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich. Die Genehmigungsfiktion bewirkt ohne Bekanntgabe (§§ 37, 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X) einen in jeder Hinsicht voll wirksamen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 S 1 SGB X. Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich der hinreichend inhaltlich bestimmte Antrag in den Verfügungssatz des fingierten Verwaltungsakts. Er hat zur Rechtsfolge, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte Verwaltungsverfahren beendet ist und dem Versicherten - wie hier - unmittelbar ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung zusteht.
Die Voraussetzungen einer fingierten Genehmigung nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V (in der seit 26.Februar 2013 geltenden Fassung des Art 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten ≪PatRVerbG≫ vom 20. Februar 2013, BGBl I 277) sind erfüllt. Damit besteht ein durchsetzbarer Anspruch.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§ 13 Abs. 3a S 6 SGB V). Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die ...