Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthaltsverfestigung nach fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auch bei fehlendem materiell-rechtlichen Aufenthaltsrecht
Leitsatz (amtlich)
Bei dem fünfjährigen Aufenthalt gem § 7 Abs 1 S 4 SGB II im Bundesgebiet muss es sich nicht um einen erlaubten Aufenthalt handeln.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2016 geändert.
Der Beigeladene zu 2) wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 1. April 2017 bis zum 30. Juni 2017, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache oder der (dauernden) Ausreise des Antragstellers aus Deutschland, in Höhe von 119,76 Euro monatlich zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu vier Fünfteln und der Beigeladene zu 2) hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu vier Fünfteln zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1969 geborene, also jetzt 47 Jahre alte Antragsteller ist litauischer Staatsbürger. Er bezieht von dem litauischen Sozialversicherungsfonds, Filiale K, laut dessen Bescheinigung vom 22. April 2016 eine Invaliditätsrente aufgrund einer 80prozentigen Arbeitsunfähigkeit. Der Rentenanspruch beträgt ab Januar 2016 261,08 Euro, wovon ein Teil aufgrund einer Pfändung einbehalten wird. Seit Januar 2017 werden ihm 167,74 Euro ausgezahlt. Weiter erhält er 9,50 Euro Fahrkostenerstattung aus Litauen im Monat. Er leidet nach eigenen Angaben an einer Stoffwechselstörung (Adrenogenitales Syndrom) mit Hormonsubstitution und einem Zustand nach Schlaganfall im Jahr 1995. Er sei linksseitig an den äußeren Extremitäten gelähmt. Auf Grund dieser Erkrankungen erhält er aus Litauen eine Entschädigung der Kosten für medizinische Behandlung (Fürsorge) in Höhe von zurzeit 112, 00 Euro monatlich.
Im April 2016 stellte der Antragsteller bei dem Jobcenter Spandau, also dem Beigeladenen zu 1), einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/ Zweites Buch (SGB II). Er gab an, obdachlos zu sein und über kein Einkommen zu verfügen. Er benötige Unterstützung bei der Arbeitsuche. Er verkaufe den Straßenfeger und lebe von Rente und Sozialhilfe aus Litauen. Er lebe seit 2009 - ohne polizeiliche Meldung - in Deutschland. Er legte eine Bestätigung des “VBS - WO„ vom 4. April 2016 vor, wonach er dort regelmäßig in der Einrichtung Gast sei.
Mit Bescheid vom 29. April 2016 hat der Beigeladene zu 1) den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller habe keinen Nachweis dafür vorlegen können, dass er sich rechtmäßig seit mehr als sieben Jahren in Deutschland aufhalte. Er habe ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zweck der Arbeitsuche und ein Anspruch sei daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen.
Zur Begründung seines Widerspruches vom 19. Mai 2016 legte der Antragsteller eine Bescheinigung der C vor, dass er seit dem 28. September 2009 regelmäßig in der C-Ambulanz am B medizinisch behandelt werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2016 hat der Beigeladene zu 1) den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, ein Aufenthaltsrecht sei nicht gegeben und ein mehr als fünfjähriger Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland nicht nachgewiesen. Ein Aufenthaltsrecht ergebe sich auch nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt. Gegen diesen Bescheid wurde keine Klage erhoben.
Am 25. Juli 2016 stellte der Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII). Er legte eine Bescheinigung der Abteilung Soziales und Gesundheit des Bezirksamts Spandau vom 24. Mai 2016 vor, wonach er in der D Straße , Berlin , seit dem 27. Oktober 2009 gemeldet ist. Dies sei allerdings nur eine Scheinadresse. Er habe dort niemals gewohnt. Weiter legte er eine Bescheinigung des C- E e.V., C-Ambulanz , unterschrieben von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. G, vom 23. Mai 2016 vor, wonach er dort seit 2009 in Behandlung und dauerhaft arbeitsunfähig sei.
Weiter hat er Kontoauszüge für die Zeit ab März 2016 vorgelegt, die zum Teil sehr niedrige Beträge über Einkäufe, z B. 0,31 Euro, 0,64 Euro, 1,06 Euro, 0,06 Euro etc. aufweisen, die abgebucht wurden.
Mit Beschluss vom 12. August 2016 (Az. VG 23 L 820.16) hat es das Verwaltungsgericht Berlin abgelehnt, den Antragsteller nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) in eine Unterkunft einzuweisen, u.a. mit der Begründung, ein Anordnungsgrund, also eine Eilbedürftigkeit bestehe nicht, da der Antragsteller bereits seit September 2009 ohne festen Wohnsitz in Berlin lebe.
Am 5. September 201...