Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Beiordnung eines nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts. Vorliegen besonderer Umstände. Mehrkostenverbot

 

Orientierungssatz

1. Ein im Bezirk des Prozessgerichts nicht niedergelassener Rechtsanwalt kann nach § 121 Abs 3 und 4 ZPO nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen, es sei denn, besondere Umstände würden dies erfordern.

2. Maßgeblich zur Beurteilung, ob solche besonderen Umstände vorliegen, sind die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Prozessführungsmöglichkeiten der Partei.

3. Dies ist ua dann zu bejahen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts nicht zugemutet werden kann oder wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde.

4. Liegen besondere Umstände vor, die die Zuziehung eines Verkehrsanwalts rechtfertigen, so kommt eine gänzlich unbeschränkte Beiordnung nicht in Betracht. Notwendig ist insoweit lediglich die Zuziehung eines am Wohnort niedergelassenen Rechtsanwalts als Verkehrsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2014 wird insoweit geändert, als die Beiordnung von Rechtsanwalt S E, A mit der Maßgabe erfolgt, dass dadurch keine höheren Kosten entstehen, als sie bei Beiordnung eines im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Berlin niedergelassenen Rechtsanwalts und zusätzlicher Beiordnung eines in F niedergelassenen Verkehrsanwalts entstehen würden.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Der im August 1951 geborene Kläger, der von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung begehrt, wohnt in S.

Mit Bescheid vom 21. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2013 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab: Trotz eines lumbalen Bandscheibenleidens könne der Kläger auch ausgehend von der zuletzt ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit als Bauhelfer zumutbar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein.

Dagegen hat der Kläger am 29. Juli 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Am 29. November 2013 hat er unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Mit Beschluss vom 16. Januar 2014 hat das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und seinen Prozessbevollmächtigten mit Kanzleisitz in F zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Berlin ortsansässigen Rechtsanwaltes beigeordnet.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 24. Januar 2014 zugestellten Beschluss richtet sich die am 28. Januar 2014 eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten.

Er ist der Ansicht, seiner uneingeschränkten Beiordnung stehe das Mehrkostenverbot nicht entgegen, denn dadurch entstünden noch geringere Kosten als durch die zusätzliche Beiordnung eines Verkehrsanwaltes. Ein Berliner Rechtsanwalt sei von dem Wohnsitz des Klägers noch weiter entfernt als ein Frankfurter Rechtsanwalt. Der Kläger sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Die daher notwendige Einschaltung eines Dolmetschers entfalle vorliegend allein deshalb, weil der beigeordnete Prozessbevollmächtigte die Sprache des Klägers spreche.

Die Beklagte sieht keine Bedenken gegen eine uneingeschränkte Beiordnung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers als beigeordneter Rechtsanwalt beschwerdebefugt.

Dies folgt aus § 48 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), wonach sich der Vergütungsanspruch nach den Beschlüssen bestimmt, durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Die Beschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ortsansässigen Rechtsanwalts berührt damit den (eigenen) Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der außerhalb dieses Gerichtsbezirks ortsansässig ist.

Die Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet.

Das Sozialgericht hat zu Unrecht eine Beschränkung der Beiordnung allein zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Berlin ortsansässigen Rechtsanwaltes angeordnet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat Anspruch auf eine Beiordnung im tenorierten Umfang, denn auch dadurch wird das Mehrkostenverbot nicht verletzt.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Abs. 2 Satz 2 Z...

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