Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versicherungspflicht. Familienversicherung. Versicherungsschutz. einstweiliger Rechtsschutz. Prüfung der Zuständigkeit des Krankenversicherungsträgers. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
1. Sind zwischen den Prozessbeteiligten mehrere in einem Vorrang-/ Nachrangverhältnis stehende Versicherungs(pflicht)tatbestände streitig, kann hierüber nur in einem einheitlichen sozialgerichtlichen Verfahren entschieden werden.
2. Wird in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um Versicherungsschutz dem Grunde nach gestritten, ist im Rahmen des Anordnungsanspruchs wegen der allgemeinen Krankenversicherungspflicht nicht mehr das Ob der Versicherung(spflicht), sondern nur die Zuständigkeit des (gesetzlichen oder privaten) Krankenversicherungsträgers zu prüfen.
Orientierungssatz
Zu den Voraussetzungen einer Folgenabwägung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs 2 SGG (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 22.03.2013 - L 9 KR 62/13 B ER).
Tenor
Zum Rechtsstreit wird die Barmenia Krankenversicherung a.G., Barmenia-Allee 1, 42119 Wuppertal, beigeladen und als Beigeladene zu 5) geführt.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits L 9 KR 94/13 Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragsstellers. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten in zwei Hauptsacheverfahren um die Versicherungspflicht des Antragstellers aufgrund abhängiger Beschäftigung (beim Senat anhängiger Rechtsstreit L 9 KR 94/13) oder im Rahmen der sogenannten Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - (bisher beim Sozialgericht Neuruppin geführter Rechtsstreit S 20 KR 294/13). Sollte letztere nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (hier - bei der Antragsgegnerin -) bestehen, wäre nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz grundsätzlich die private Krankenversicherung, bei der der Antragsteller zuletzt versichert war, verpflichtet, ihm Krankenversicherungsschutz zu gewähren (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Mai 2010 - L 9 KR 33/10 B ER -, juris). Aus diesem Grund war die Barmenia Krankenversicherung a.G. als letzte private Krankenversicherung des Antragstellers notwendig zum Verfahren beizuladen.
B. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Antragsteller sinngemäß, ihm vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
I. Der im April 1955 geborene Antragsteller war bis zum 31. Dezember 2009 als Unternehmer selbständig tätig und bei der Beigeladenen zu 5) privat krankenversichert. Am 30. November 2009 beantragte seine Ehefrau für ihn bei der Antragsgegnerin die Familienversicherung. Hierbei gab sie an, dass der Antragsteller ab dem 01. Januar 2010 voraussichtlich über monatliches Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung i.H.v. 400,00 Euro und aus Vermietung i.H.v. 500,00 Euro verfügen werde. Mit Bescheid vom 08. Dezember 2009 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag ab, da die für die Familienversicherung geltende Einkommensgrenze überschritten werde. Im Rahmen eines erneuten Antrags auf Familienversicherung des Antragstellers gab die Ehefrau am 15. Dezember 2009 Einkünfte des Antragstellers aus geringfügiger Beschäftigung nur noch i.H.v. 400,00 Euro monatlich ab 01. Januar 2010 an. Einkünfte aus Vermietung werde er nicht haben, weil sich sein ursprüngliches Vorhaben, den durch seine Geschäftsaufgabe frei gewordenen Gewerberaum zu vermieten, zerschlagen habe. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 bescheinigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, dass er ab dem 01. Januar 2010 bei ihr familienversichert sei.
Vom 30. Mai bis 12. Juli 2010 befand sich der Antragsteller in stationärer Behandlung. Am darauffolgenden Tag erhielt die Antragsgegnerin nach eigenen Angaben eine den Antragsteller betreffende, zum 01. Januar 2010 zurückwirkende “Anmeldung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei„ seinem Sohn, dem Beigeladenen zu 1); der Beitragsnachweis habe ein monatliches Bruttoeinkommen von 401,00 Euro ausgewiesen.
Ausweislich eines in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin enthaltenen Vermerks erklärte der Beigeladene zu 1) am 6. August 2010 telefonisch, der Antrag auf Familienversicherung werde “hiermit mdl. zurückgezogen„.
Im Zuge der von der Antragsgegnerin eingeleiteten Ermittlungen legte der Antragssteller einen undatierten Arbeitsvertrag zwischen ihm und seinem Sohn vor, wonach er mit Wirkung vom 01. Januar 2010 als “Mitarbeiter„ in dessen Betrieb eingestellt werde und bei einer täglichen Arbeitszeit von 2 Stunden eine monatliche Vergütung von 401,00 Euro erhalte.
Mit Bescheid vom 20. September 2010 teilte die Antragsgegnerin dem Antragssteller mit, dass von einem Scheinarbeitsverhältnis auszugehen und er daher nicht ab dem 01. Januar 2010 als Arbeitnehmer pflichtversichert sei. Widerspruch und Klage blieb...