Entscheidungsstichwort (Thema)
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Honoraränderungs- und Rückforderungsbescheid. Interessenabwägung. Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache
Orientierungssatz
1. Honorarbescheide, durch die überzahltes Honorar vom Vertragsarzt zurückgefordert wird, gehören zu den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakten i. S. des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG.
2. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Aussetzung der Vollziehung ist eine Abwägung der Interessen des Vertragsarztes und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vorzunehmen.
3. Bei offener Erfolgsaussicht der Hauptsacheklage des Vertragsarztes ist ein Vorrang der privaten Interessen des Vertragsarztes vor den öffentlichen Interessen der KV zu verneinen, mit der Folge, dass einstweiliger Rechtsschutz zu versagen ist.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Der im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin gestellte Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr weitere 5.803,21 Euro vorläufig wieder auszuzahlen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgericht.
Der Streitwert wird unter gleichzeitiger Änderung des Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 für beide Instanzen auf jeweils 18.648,92 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juni 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die bei ihm gestellten Anträge abgelehnt, mit denen die Antragstellerin geltend gemacht hat, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 1. November 2004 und 14. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2005 anzuordnen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr den bereits einbehaltenen Betrag in Höhe von 31.494,62 Euro vorläufig wieder auszuzahlen. Da dem Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, kein Erfolg beschieden ist, kann auch der ergänzend erst im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr weitere 5.803,21 Euro vorläufig wieder auszuzahlen, keinen Erfolg haben.
Der von der Antragstellerin vorrangig verfolgte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist zulässig, wobei insbesondere gegen die Statthaftigkeit dieses Antrages keine Bedenken bestehen. Sie setzt nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Fallkonstellation voraus, in der - abweichend von dem in § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten Grundsatz - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, weil sie sich gegen einen Verwaltungsakt richten, der entweder nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1-4 SGG kraft Gesetzes oder nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG kraft behördlicher Vollziehungsanordnung schon vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit sofort vollziehbar ist. Eine solche Fallkonstellation im Sinne des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG liegt hier vor. Denn die von der Antragstellerin in dem nach wie vor bei dem Sozialgericht Potsdam anhängigen Rechtsstreit S 1 KA 123/05 zu Recht mit der Anfechtungsklage angegriffenen Bescheide vom 1. November 2004 und 14. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2005, mit denen die Antragsgegnerin die der Antragstellerin für die Quartale II/00 bis IV/00 erteilten Honorarbescheide zu ihren Lasten geändert und hiernach überzahltes Honorar von ihr zurückgefordert hat, gehören gemäß § 85 Abs. 4 Satz 9 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) zu den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Verwaltungsakten im Sinne des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. den ebenfalls von der Antragstellerin erstrittenen Beschluss vom 31. Januar 2006 - L 7 B 1046/05 KA ER - m. w. N.).
Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist jedoch unbegründet. Wie der Senat in Fällen der hier vorliegenden Art wiederholt entschieden hat (vgl. erneut den soeben zitierten Beschluss vom 31. Januar 2006), ist im Rahmen der Begründetheitsprüfung - bezogen auf den insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der unter Beachtung der vom Gesetzgeber getroffenen Grundentscheidung, den Eintritt der aufschiebenden Wirkung abweichend von dem in § 86 a Abs. 1 SGG geregelten Grundsatz nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V gerade auszuschließen, die jeweiligen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Ergibt diese Abwägung, dass das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung seines Bescheides überwiegt, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Dies wiederum ist in aller Regel dann de...