Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen. Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente. Ermessensausübung
Orientierungssatz
1. Das einem Leistungsträger durch § 5 Abs 3 S 1 SGB 2 hinsichtlich des Ob einer Aufforderung eingeräumte Ermessen nimmt seinen Ausgangspunkt beim Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB 2 zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen (Anschluss an BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R = SozR 4-4200 § 12a Nr 1).
2. Dies gilt erst recht bei einer Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente, wenn die Ausnahmetatbestände der UnbilligkeitsV nicht vorliegen. Hier entspricht es pflichtgemäßem Ermessen des Leistungsträgers, im Regelfall von der Ermächtigung zur Aufforderung zur Antragstellung Gebrauch zu machen (Anschluss an BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R aaO; Aufgabe von LSG Berlin-Potsdam vom 1.7.2015 - L 9 AS 1583/14 B ER).
3. In das Ermessen einzustellen sind nur solche Gesichtspunkte, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist (Anschluss an BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R aaO; Aufgabe von LSG Berlin-Potsdam vom 1.7.2015 - L 9 AS 1583/14 B ER).
4. Hierfür dürften bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung nur besondere Härten im Einzelfall in Betracht kommen, die keinen Unbilligkeitstatbestand iS der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen (Anschluss an BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R aaO).
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die 1953 geborene Antragstellerin hat im März 2016 das 63. Lebensjahr vollendet. Sie bezieht seit dem Jahr 2010 ununterbrochen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Ihr derzeitiger Bedarf liegt bei 816,17 Euro monatlich (Bescheid des Antragsgegners vom 26. April 2016 für die Monate April bis September 2016).
Nach einer bei den Akten des Antragsgegners befindlichen Renteninformation der Deutschen Rentenversicherung Bund wird die am 1. November 2018 beginnende Regelaltersrente der Antragstellerin ohne Abschläge 866,14 Euro betragen, (Renteninformation vom 07. Januar 2015; zu jenem Zeitpunkt erreichte Rentenanwartschaft: 800,15 Euro).
Auf der Grundlage von § 12a SGB II forderte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Bescheid vom 18. März 2016, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2016, auf, beim zuständigen Rentenversicherungsträger die Bewilligung von Altersrente zu beantragen. Den hiergegen gerichteten Eilantrag hat das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 22. April 2016 zurückgewiesen; über die am 11. Mai 2016 erhobene Klage (S 193 AS 6756/16) ist noch nicht entschieden.
Zur Begründung ihrer am 2. Mai 2016 eingelegten Beschwerde führt die Antragstellerin an, die Entscheidung des Antragsgegners sei ermessensfehlerhaft und erschöpfe sich in Leerformeln. Die zu erwartende Höhe der Altersrente sei dem Grundsicherungsbedarf nicht gegenüber gestellt worden. Bei Inanspruchnahme von Altersrente werde sie abhängig von Leistungen der Sozialhilfe. In diesem Fall müsse sie ihre Gothaer Privatrente vorzeitig in Anspruch nehmen, was unbillig sei.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2016 ist zulässig, hat jedoch keinen rechtlichen Erfolg.
Wegen der Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im erstinstanzlichen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Nach eigener Sachprüfung hält auch der Senat den Bescheid des Antragsgegners vom 18. März 2016, nunmehr in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2016, für rechtmäßig.
In Würdigung insbesondere der Beschwerdebegründung bleibt zu ergänzen: Ermessensfehler vermag auch der Senat im angefochtenen Bescheid nicht zu erkennen. Maßgeblich leiten lässt der Senat sich insoweit von der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu der Thematik (Urteil vom 19. August 2015, B 14 AS 1/15 R, zitiert nach juris, dort insbes. Rdnr. 28ff.); von seiner in eine teilweise andere Richtung gehenden Rechtsprechung (Beschluss vom 1. Juli 2015, L 9 AS 1583/14 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10; Ablehnung intendierten Ermessens) nimmt der Senat insoweit Abstand. Das Bundessozialgericht hat in der zitierten Entscheidung betont (a.a.O., Rdnr. ...