Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Aufhebung einer einstweiligen Anordnung im Beschwerdeverfahren bei Nichtbetreiben der Vollstreckung
Orientierungssatz
Die Vollziehung einer im sozialgerichtlichen Verfahren erwirkten einstweiligen Anordnung (hier: Übernahme von Aufwendungen für die Betreuung in einer Wohngruppe) scheidet in Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO aus, wenn seit der Zustellung des Beschlusses mehr als ein Monat vergangen ist, ohne dass der Antragsteller aus dem Beschluss Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. August 2012 aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts, mit dem der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - verpflichtet worden ist, vorläufig die dem Antragsteller entstehenden Betreuungskosten für die Betreuung durch das N, D zu übernehmen, war aufzuheben, weil aus ihm nicht mehr vollstreckt werden kann und er damit wirkungslos ist.
Nach § 929 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO - ist eine Vollziehung aus einem Arrestbefehl unstatthaft, wenn seit dem Tag der Zustellung ein Monat verstrichen ist. Diese Vorschrift ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG auf einstweilige Anordnungen nach § 86 b SGG entsprechend anwendbar (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86 b, Rn. 46 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg v. 15.04.2011, L 14 AS 218/11 B ER, juris; LSG Schleswig-Holstein v. 13.12.2010, L 5 KR 173/10 B ER, L 5 KR 173/10 B ER PKH, juris; LSG Rheinland-Pfalz v. 26.01.2011, L 6 AS 616/10 B ER, juris).
Diese Monatsfrist, die von Amts wegen zu beachten ist, war hier bereits nach Zustellung des Beschlusses an den Antragsteller am 30. August 2012 mit Ablauf des 01. Oktober 2012 (Montag, § 64 Abs. 3 SGG) verstrichen, ohne dass der Antragsteller aus dem Beschluss des Sozialgerichts vollstreckt hatte. Der Einrichtungsträger hat diesbezüglich an das Sozialgericht noch unter dem 08. Oktober 2012 mitgeteilt, dass der Antragsteller dort in einer Wohngemeinschaft untergebracht sei, eine Kostenübernahme des Antragsgegners nicht vorliege.
Die Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO kann nicht verlängert werden, so dass die Vollstreckung bereits ab dem 02. Oktober 2012 und damit noch vor Entscheidung des Vorsitzenden des Senats über den Antrag des Antragsgegners nach § 199 Abs. 2 SGG (Eingang beim Senat am 22. Oktober 2012) unzulässig war.
Selbst wenn der in Schrifttum und Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass entgegen der uneingeschränkten Verweisung in § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes Ausnahmen von der Anwendung des § 929 Abs. 2 ZPO bestehen könnten (vgl. hierzu: Keller, a.a.O. m.w.N.), gefolgt werden sollte - was der Senat ausdrücklich offen lässt - vermag der Senat Gründe für eine Ausnahme hier nicht zu erkennen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob ein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlicher Anordnungsgrund, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile bei einem Abwarten des Hauptsacheverfahrens erforderlich ist, glaubhaft gemacht ist.
Der Antragsteller, der allein die Übernahme der Kosten für die Betreuungsleistungen in der Wohngruppe geltend macht, ist bereits auf der Grundlage des Beratungs- und Betreuungsvertrages vom 02. Juli 2012 in der Einrichtung einer betreuten Wohnung untergebracht und wird dort offenbar auch betreut. Dass der Einrichtungsträger die Betreuung bei ungeklärter Kostenübernahme beendet, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich. Selbst wenn der Einrichtungsträger bei Nichtzahlung der Vergütung für die Betreuung zur Kündigung des Vertrages berechtigt sein sollte, wäre hierzu nach der allenfalls in Betracht kommenden Regelung des Vertrages (§ 5 des Vertrages) eine vorherige Abmahnung erforderlich. Unabhängig davon, dass der Senat erhebliche Zweifel daran hat, dass die die Regelung des § 5 des Vertrages überhaupt ein Kündigungsrecht bei Nichtzahlung der Vergütung einräumt - sie dürfte allein auf ein Verhalten des Antragstellers während des Betreuungsverhältnisses abstellen - liegt keine Abmahnung vor. Zumindest derzeit drohen dem Antragsteller deshalb keine Nachteile bei Abwarten einer Klärung seines Anspruchs gegen den Antragsgegner im Hauptsacheverfahren.
Nach allem war der Beschluss aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Fundstellen