Entscheidungsstichwort (Thema)
Auskunftsersuchen. sofortige Vollziehung. besonderes Vollziehungsinteresse (verneint). Zwangsgeldandrohung. Gerichtliches Aussetzungsverfahren. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Ermessen. Abwägung. Auskunftserteilung. Verwaltungsvollstreckung. Existenzsichernde Leistungsbewilligung
Leitsatz (amtlich)
Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG erfordert ein besonderes, klar definierbares und schriftlich zu begründendes Vollziehungsinteresse. Sofern ein solches im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nicht erkennbar ist, hat der Eilantrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG unabhängig von der Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung Erfolg.
Normenkette
SGG § 86a Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 86a Abs. 2 Nr. 4, §§ 172-174; SGB II § 60 Abs. 4 S. 1 Nr. 1; SGB X § 66 Abs. 3 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 2. August 2007 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 19. Juni 2007 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juni 2007 wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 2. August 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG zulässig und begründet.
Der Eilantrag richtet sich gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juni 2007. Zwar haben Widerspruch und Klage gegen belastende Bescheide schon nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf den Bescheid vom 8. Juni 2007, mit dem der Antragsgegner die Antragstellerin nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II zur Auskunftserteilung über ihr Einkommen und Vermögen herangezogen hat, denn gleichzeitig ist die sofortige Vollziehbarkeit dieser Grundverfügung nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet worden. Der Widerspruch gegen die zugleich verfügte Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 550 Euro hat schon von Gesetzes wegen nach § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 1 SGB X und § 39 VwVGBrbg keine aufschiebende Wirkung.
Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse (oder das Interesse eines anderen Beteiligten) an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Im Rahmen dieser Abwägung kommt es einerseits maßgeblich auf die Rechtmäßigkeit der zu vollziehenden Grundverfügung an, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein überwiegendes Interesse bestehen; andererseits kann eine genauere Prüfung der Grundverfügung unterbleiben, wenn das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass selbst bei unterstellter Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts kein überwiegendes Vollziehungsinteresse erkennbar ist. Dieser das Aussetzungsverfahren nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kennzeichnende Prüfungsmaßstab rechtfertigt sich daraus, dass die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts allein nicht ausschlaggebend sein kann für ein überwiegendes Vollziehungsinteresse, denn die Regelaussage des § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG ist so zu verstehen, dass Widerspruch und Anfechtungsklage auch und gerade gegen rechtmäßige Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfalten. Im Falle der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG muss vielmehr ein besonderes, klar definierbares und schriftlich zu begründendes Vollziehungsinteresse hinzutreten, das im gerichtlichen Aussetzungsverfahren genau zu hinterfragen ist. Sofern ein besonders Vollziehungsinteresse schlechthin nicht erkennbar ist, hat der Eilantrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Erfolg. So liegt es hier.
Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 8. Juni 2007 kann beim momentanen Stand des Eilverfahrens ohnehin nicht hinreichend beurteilt werden. Auf der Grundlage von § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II hat der Antragsgegner der Antragstellerin damit auferlegt, außerordentlich umfangreiche Unterlagen zur Prüfung ihres Einkommens und Vermögens vorzulegen. Immerhin bestanden Anhaltspunkte für eine Lebensgemeinschaft mit dem Leistungsempfänger R M im maßgeblichen Zeitraum der zweiten Jahreshälfte 2005, denn erst im September 2006 ist dieser aus dem gemeinsam bewohnten Einfamilienhaus ausgezogen. Allerdings hat die Antragstellerin mit Nachdru...