Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerbegriff bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen an einen Unionsbürger
Orientierungssatz
1. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 sind diejenigen von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Selbst wenn der Ausländer zur Arbeitssuche eingereist ist, begründet der Status eines Arbeitnehmers aufgrund einer Beschäftigung ein Aufenthaltsrecht, wodurch die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nicht erfüllt sind.
2. Der Arbeitnehmerbegriff ist europarechtlich bestimmt und nicht eng auszulegen. Zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft reicht eine Teilzeitbeschäftigung aus. Diese muss nicht den Umfang haben, dass aus ihr Einkommen erzielt wird, das im Beschäftigungsgebiet als Minimalenkommen angesehen wird. Nationale Geringfügigkeitsgrenzen können zur Abgrenzung nicht herangezogen werden.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin Arbeitslosengeld II in Höhe von 254,00 Euro (Regelleistung) und 326,24 Euro (Kosten der Unterkunft) monatlich - zum 01. Juli angepasst nach Maßgabe der Erhöhung der Regelleistung - vorläufig bis zum 31. Dezember 2009 zu zahlen. Für den Monat Juni erfolgt die Zahlung anteilig ab dem Tage des Zugangs dieses Beschlusses als Telefax bei der Antragsgegnerin.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die 1957 geborene Antragstellerin, die polnische Staatsbürgerin ist und deren Erwerbsfähigkeit außer Zweifel steht, ist nach ihren Angaben abgesehen von den Einkünften aus einer Teilzeitbeschäftigung als Reinigungskraft ohne Einkommen und Vermögen. Seit der Trennung von ihrem Partner im Dezember 2008 lebt sie allein in einer ca. 40 m² großen Wohnung, für die eine Bruttowarmmiete von 332,88 Euro zu entrichten ist. Der Antragstellerin ist eine Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) erteilt worden (Bezirksamt Treptow-Köpenick vom 12. Juni 2007) sowie eine Arbeitsberechtigung/EU (Agentur für Arbeit Berlin-Süd vom 05. März 2009). Die Antragstellerin ist seit dem 01. Dezember 2006 durchgängig bei der Firma F F für sieben Stunden wöchentlich als Reinigungskraft bei einem Stundenlohn von Euro beschäftigt (monatliches Nettoentgelt von Euro, das ihr abzugsfrei ausgezahlt wird - Bescheinigung der Firma F vom 15. Dezember 2008).
Die Antragsgegnerin lehnt die Gewährung von Grundsicherungsleistungen ab. Die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) von diesen Leistungen ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Das Sozialgericht (SG) Berlin, das zu einem Zeitpunkt entschieden hat, zu dem die Arbeitsberechtigung/EU noch nicht erteilt war, hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin sei nicht erwerbsfähig, da ihr die Aufnahme von Arbeit nicht erlaubt sei und nicht erlaubt werden könne.
Die zulässige (§§ 172, 173 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) Beschwerde ist begründet. Dass die in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II bestimmtem Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen iS von § 19 Abs. 1 SGB II und damit ein Anordnungsanspruch gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG (Lebensalter zwischen 15 und 64 Jahren, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet) erfüllt sind, steht fest bzw. kann - bzgl. der Hilfebedürftigkeit - nicht mit der Gewissheit verneint werden, die in einer Hauptsacheentscheidung für eine Klageabweisung notwendig wäre, wobei der Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr 2 des SGB II nicht erfüllt ist - dazu (1) - . Diese Situation reicht in Ansehung des grundrechtlichen Schutzes, den die Sicherung des Existenzminimums genießt, zumindest zur Leistungsgewährung im Rahmen einer Folgenabwägung aus, die begehrte einstweilige Anordnung mit den Beschränkungen, die sich aus der Einstweiligkeit der Entscheidung ergeben - dazu (2) - zu erlassen (zu dem Maßstab der Entscheidung, insbesondere zur Folgenabwägung vgl. Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Beschluss vom 12. Mai 2005 -1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats - info also 2005, 166).
(1) Die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ist nicht wegen fehlender rechtlicher Möglichkeit einer (beliebigen) Tätigkeit nachzugehen ausgeschlossen, da ihr eine Arbeitsberechtigung/EU erteilt ist (§ 8 Abs. 2 SGB II). Sie ist nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 ≪BGBl I S 1970≫) von den Leistungen der Grundsicherung ausgenommen. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II schließt diejenigen Ausländer aus, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Dies trifft, auch wenn die Antragstellerin zur Arbeitssuche eingereist sein sollte, für den in Frage stehen...